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Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Titel: Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert L Stevenson
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von der Luft, dem Geräusch der lebendigen Stadt, zu sprechen, als in dieses freiwillige Gefängnis eingelassen zu werden und dort zu sitzen und mit diesem undurchdringlichen Klausner zu reden. Poole vermochte auch wirklich keine sehr erfreulichen Neuigkeiten zu übermitteln. Der Doktor zog sich anscheinend mehr denn je in das Arbeitszimmer über dem Laboratorium zurück, in dem er bisweilen sogar schlief. Er war tief deprimiert, sein Schweigen war noch undurchdringlicher geworden, er las nicht, und es schien, als ob irgend etwas sein Denken gefangenhielt. Utterson gewöhnte sich allmählich so an diese stets gleichen Berichte, daß sich nach und nach die Häufigkeit seiner Besuche verminderte.

7. Das Fenster
    An einem Sonntag war es. Mr. Utterson und Mr. Enfield machten ihren üblichen Spaziergang, und ihr Weg führte sie wieder einmal durch jene Nebenstraße. Als sie sich der Tür gegenüber befanden, verhielten beide ihre Schritte und blickten sie an.
    »Na«, meinte Enfield, »wenigstens hat jene Geschichte ihr Ende gefunden. Wir werden nie wieder etwas von Mr. Hydezu sehen bekommen.«
    »Das hoffe ich«, sagte Mr. Utterson. »Erzählte ich dir eigentlich schon, daß ich ihn einmal gesehen habe und das gleiche Gefühl des Abscheus empfand wie du?«
    »Das eine ohne das andere wäre auch ganz unmöglich!« erwiderte Enfield. »Doch nebenbei, für was für einen Esel mußt du mich gehalten haben, daß ich nicht hätte wissen sollen, daß dies hier der Hintereingang zu Dr. Jekylls Haus ist! Es war zum Teil deine eigene Schuld, daß ich es herausbekam.«
    »So, du hast es also herausbekommen?« meinte Utterson. »Da das nun einmal der Fall ist, wollen wir in den Hof gehen und uns die Fenster ansehen. Um dir die Wahrheit zu gestehen: Ich bin wegen des armen Jekyll sehr besorgt, und selbst wenn wir uns nur außerhalb befinden, habe ich das Gefühl, die Nähe eines Freundes möchte ihm guttun.« Der Hof war kühl und ein wenig dumpfig und schon von Zwielicht erfüllt, obwohl am Himmel oben noch der Sonnenuntergang erstrahlte. Das mittlere der drei Fenster stand halb offen, und dicht daneben sitzend und mit unendlich traurigem Ausdruck die Luft einschlürfend, gleich einem verzweifelten Gefangenen, erblickte Utterson Dr. Jekyll.
    »Hallo, Jekyll!« rief er. »Ich hoffe, es geht dir besser!« »Ich bin sehr krank, Utterson«, erwiderte der Doktor traurig, »sehr krank. Gott sei Dank wird es nicht mehr lange dauern.« »Du hältst dich zuviel im Zimmer auf«, entgegnete der Anwalt, »du solltest herauskommen und dein Blut in Bewegung bringen wie Mr. Enfield und ich (dieses ist mein Vetter - Mr. Enfield - Dr. Jekyll). Also komm, nimm deinen Hut und mach mit uns einen raschen Spaziergang.«
    »Du bist so gut, ich würd' es ja so gerne tun, doch nein, nein, nein, es ist völlig unmöglich; ich wag' es nicht. Wirklich, ich freue mich aufrichtig, dich zu sehen; das ist mir eine ganz große Freude, ich würde dich und Mr. Enfield bitten, zu mir zu kommen, aber dieser Raum ist tatsächlich nicht für einen Besuch geeignet!«
    »Na schön«, meinte der Anwalt gutmütig, »das Beste, was wir dann tun können, ist hier zu bleiben und uns von hier aus mit dir zu unterhalten.«
    »Gerade das gleiche wollte ich mir eben erlauben vorzuschlagen«, erwiderte der Doktor mit einem Lächeln; aber kaum waren die Worte heraus, als das Lächeln auch schon auf seinem Gesicht erstarb und einem Ausdruck von so grauenvoller Angst und Verzweiflung Platz machte, daß den beiden Herren unten das Blut in den Adern gefror. Sie sahen das nur einen Augenblick, denn das Fenster wurde heftig zugeworfen, aber dieser kurze Blick hatte genügt. Sie machten kehrt und verließen ohne ein Wort den Hof. In tiefem Schweigen kreuzten sie die Nebenstraße, doch erst als sie die nächste Straße erreicht hatten, wo selbst am Sonntag noch lebendiges Leben herrschte, wagte Mr. Utterson sich umzuwenden und seinen Begleiter anzusehen. Sie waren beide blaß, und jeder las den gleichen Schauder in den Augen des anderen.
    »Gott vergib uns, Gott vergib uns!« sagte Mr. Utterson. Aber Mr. Enfield neigte nur ernst das Haupt und ging stillschweigend weiter.

8. Die letzte Nacht
    Mr. Utterson saß eines Abends nach dem Essen neben dem Kamin, als ihn ein Besuch Pooles überraschte. »Mein Himmel, Poole, was führt Sie her?« Und dann, nach einem zweiten Blick, fügte er hinzu. »Was fehlt Ihnen? Ist der Doktor krank?«
    »Mr. Utterson«, sagte der Mann, »da stimmt etwas

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