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Der seltsame Mr Quin

Der seltsame Mr Quin

Titel: Der seltsame Mr Quin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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erkennen. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass die Geschichten, die sie Franklin Rudge erzählt hatte, tatsächlich wahr waren. Es war zwar äußerst unwahrscheinlich und im höchsten Grade unbeweisbar, aber möglich war es doch…
    Er erwiderte nichts, und die Gräfin blickte weiterhin verträumt über die Bucht.
    Und plötzlich hatte Mr Sattersway einen seltsamen und ganz neuen Eindruck von ihr. Er sah in ihr nicht mehr ein habgieriges Wesen, sondern ein verzweifeltes, in die Enge getriebenes Geschöpf, das sich mit Händen und Füßen wehrte. Verstohlen blickte er sie von der Seite an. Der Sonnenschirm war zusammengeklappt, und so konnte er die kleinen Falten in den Augenwinkeln deutlich erkennen. An der Schläfe pochte eine Ader.
    Wieder überkam sie ihn – diese wachsende Gewissheit. Sie war ein verzweifeltes gejagtes Geschöpf. Erbarmungslos würde sie gegen ihn oder jeden andern vorgehen, der sich zwischen sie und Franklin Rudge stellte. Aber immer noch hatte er das Gefühl, die Bedeutung der Situation nicht ganz zu begreifen. Fest stand, dass sie genügend Geld hatte. Sie war immer bildschön angezogen, und ihr Schmuck war wunderbar. In diesem Punkt war sie wirklich nicht auf andere angewiesen. War es vielleicht Liebe? Frauen ihres Alters verliebten sich oft, wie er wusste, in junge Männer. Das wäre also möglich. Und er war überzeugt, dass es für diese Situation eine nicht alltägliche Erklärung gab.
    Das Alleinsein mit ihm war, wie er merkte, nichts anderes, als dass sie ihm den Fehdehandschuh zuwarf. Sie hatte in ihm ihren Hauptfeind erkannt. Bestimmt hoffte sie, sie könne ihn dazu bringen, abfällig über Franklin Rudge zu sprechen. Mr Sattersway lächelte. Er war zu alt, um darauf noch hereinzufallen. Er wusste inzwischen, wann es klug war, sich auf die Zunge zu beißen.
     
    Am gleichen Abend beobachtete er sie, als sie ihr Glück beim Roulette versuchte.
    Immer wieder setzte sie, um dann zu erleben, wie ihr Einsatz weggerafft wurde. Sie trug ihre Verluste mit Fassung, mit dem stoischen Gleichmut des alten hab i tué. Ein- oder zweimal setzte sie en plein, setzte das Maximum auf Rot, gewann eine kleine Summe im mittleren Dutzend und verlor sie dann wieder; schließlich setzte sie sechsmal auf manque und verlor. Danach wandte sie sich mit einem leichten anmutigen Schulterzucken ab.
    In ihrem Kleid aus einem goldenen Gewebe, das einen grünen Schimmer hatte, sah sie ungewöhnlich eindrucksvoll aus. Die berühmten bosnischen Perlen hatte sie um den Hals geschlungen, und an den Ohren trug sie lange Perlenohrgehänge.
    Mr Sattersway hörte, wie zwei Männer in seiner Nähe sich über sie unterhielten.
    »Die Zarnowa«, sagte der eine. »Sie hält sich gut, was? Und die bosnischen Kronjuwelen stehen ihr ausgezeichnet.«
    Der andere – ein kleiner, jüdisch aussehender Mann – starrte neugierig hinter ihr her.
    »Das also sind die Perlen aus Bosnien?«, fragte er. »Das ist wirklich seltsam.«
    Leise lachte er vor sich hin.
    Mehr konnte Mr Sattersway nicht hören, denn in diesem Augenblick wandte er sich um und war entzückt, einen alten Freund zu erkennen.
    »Mein lieber Mr Quin!« Er schüttelte ihm warm die Hand. »Sie hier wiederzusehen, hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen.«
    Mr Quin lächelte; sein dunkles, reizvolles Gesicht leuchtete auf. »Das darf Sie nicht überraschen«, sagte er. »Es ist die Zeit des Karnevals. Und während des Karnevals bin ich häufig hier.«
    »Wirklich? Ja, das ist eine große Freude! Legen Sie sehr viel Wert darauf, hier zu bleiben? Ich finde es ziemlich stickig.«
    »Draußen dürfte es angenehmer sein«, stimmte der andere zu. »Gehen wir in die Anlagen hinaus.«
    Die Luft in den Anlagen war zwar frisch, aber nicht kalt. Beide Männer holten tief Atem. »Das ist doch besser«, sagte Mr Sattersway.
    »Viel besser«, stimmte Mr Quin zu. »Und wir können auch freier sprechen. Ich bin überzeugt, dass Sie mir eine ganze Menge berichten wollen.«
    »Das stimmt allerdings.«
    Mr Sattersway sprach sehr schnell, während er seine Geschichte erzählte. Wie gewöhnlich war er auf seine Fähigkeit, eine Atmosphäre zu schildern, besonders stolz. Die Gräfin, der junge Franklin und die kompromisslose Elizabeth – sie alle zeichnete er mit kräftigen Strichen.
    »Seit ich Sie kennen lernte, haben Sie sich sehr verändert«, sagte Mr Quin lächelnd, als der Bericht beendet war.
    »In welcher Art?«
    »Damals waren Sie zufrieden, wenn Sie den Dramen, die das Leben

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