Der seltsame Mr Quin
Plan. »Man sucht sich einen Treffpunkt aus, und dann zieht jeder los und ist auf Ehre verpflichtet, den ersten Menschen, dem er begegnet, einzuladen.«
Franklin Rudge fand diese Idee großartig.
»Und was passiert, wenn derjenige nicht will?«
»Man muss alles Mögliche tun, um ihn zu überreden.«
»Gut. Und wo ist der Treffpunkt?«
»Eine Art Künstlerlokal – wo auch die verrücktesten Gäste nicht auffallen. Es heißt Le Caveau.«
Er beschrieb noch, wo es lag, und dann trennten sich die drei. Mr Sattersway hatte das Glück, direkt Elizabeth Martin in die Arme zu laufen, und vergnügt lud er sie ein. Sie fanden das Le Caveau, eine Art Keller, wo bereits ein Tisch gedeckt war, während der Raum von Kerzen in altmodischen Kerzenhaltern beleuchtet wurde.
»Wir sind die Ersten«, sagte Mr Sattersway. »Aha! Da kommt Franklin…« Er verstummte unvermittelt. Zusammen mit Franklin erschien die Gräfin. Es war ein schrecklicher Augenblick. Elizabeth Martin war erheblich weniger anmutig, als sie sonst sein konnte. Als Frau von Welt bewahrte die Gräfin ihre Fassung.
Zuletzt erschien Mr Quin. Mit ihm zusammen kam ein kleiner dunkler Mann, ordentlich gekleidet, dessen Gesicht Mr Sattersway irgendwie bekannt vorkam. Gleich darauf erkannte er ihn. Es war der Croupier, der vorhin einen so bedauerlichen Fehler begangen hatte.
»Darf ich Sie mit Monsieur Pierre Vaucher bekannt machen«, sagte Mr Quin.
Der kleine Mann machte einen verwirrten Eindruck. Mr Quin stellte ihm in seiner ungezwungenen Art die übrigen Anwesenden vor. Das Essen wurde serviert – ein ausgezeichnetes Essen. Der Wein wurde eingeschenkt – ein ganz ausgezeichneter Wein. Die Atmosphäre verlor etwas von ihrer Kühle. Die Gräfin war sehr schweigsam, genau wie Miss Martin. Franklin Rudge hingegen wurde redselig. Er erzählte verschiedene Geschichten – keine lustigen Geschichten, sondern ernste. Ruhig und unermüdlich schenkte Mr Quin den Wein ein.
»Ich erzähle jetzt – und das ist eine wahre Geschichte – von einem Mann, der Glück gehabt hat«, sagte Franklin Rudge nachdrücklich. Obgleich er aus einem Land kam, in welchem jeglicher Alkohol im Augenblick verboten war, hatte er nicht die geringste Abneigung gegenüber dem Champagner gezeigt.
Und er erzählte seine Geschichte – vielleicht unnötigerweise etwas zu ausführlich. Wie so viele wahre Geschichten war auch diese jeder erfundenen Geschichte weit unterlegen.
Als das letzte Wort gefallen war, schien Pierre Vaucher, der ihm genau gegenüber saß, plötzlich aufzuwachen. Auch er hatte dem Champagner Gerechtigkeit angedeihen lassen. Er beugte sich weit über den Tisch vor.
»Auch ich will Ihnen jetzt eine Geschichte erzählen«, sagte er mühsam. »Aber meine ist die Geschichte eines Mannes, mit dem es nicht bergauf, sondern bergab gegangen ist. Und wie Ihre ist es eine wahre Geschichte.«
»Bitte, erzählen Sie, Monsieur«, sagte Mr Sattersway höflich.
Pierre Vaucher lehnte sich zurück und blickte an die Decke.
»Die Geschichte beginnt in Paris. Dort lebte einmal ein Juwelier und Goldschmied. Er war jung, unbeschwert und in seinem Beruf sehr fleißig. Alle behaupteten, dass er eine große Zukunft vor sich hätte. Für eine gute Ehe war bereits alles arrangiert: Die Braut sah nicht allzu hässlich aus, und die Mitgift war höchst zufrieden stellend. Und dann, was glauben Sie wohl? Eines Morgens sieht er ein Mädchen. So ein elendes kleines Mädchen, Messieurs. Schön? Ja, vielleicht, wenn sie nicht halb verhungert gewesen wäre. Jedenfalls besaß sie für den jungen Mann einen Zauber, dem er nicht widerstehen konnte. Sie hatte alles versucht, um irgendwo Arbeit zu finden; sie war äußerst tüchtig – oder wenigstens behauptete sie es. Ich weiß nicht, ob es stimmte.«
Plötzlich drang die Stimme der Gräfin durch das Halbdunkel. »Warum sollte es nicht stimmen? Sie wird nicht die Einzige gewesen sein.«
»Also, wie gesagt, der junge Mann glaubte ihr. Und er heiratete sie – die reinste Dummheit! Seine Familie wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben. Er hatte ihre Gefühle verletzt. Er heiratete – ich will sie Jeanne nennen. Und das war eine gute Tat. Das sagte er ihr auch. Er hatte das Gefühl, dass sie ihm deswegen sehr dankbar sein müsse. Um ihretwillen hatte er so viel geopfert.«
»Ein reizender Anfang für das arme Mädchen«, bemerkte die Gräfin sarkastisch.
»Er liebte sie, jawohl, aber von Anfang an machte sie ihn rasend. Sie hatte Launen, Wutanfälle; den
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