Der seltsame Mr Quin
gemacht. Der Schnee fiel immer dichter. Dann hatte Mr Quin einen Einfall, der freudig angenommen wurde. Am Ende der Häuser stand eine kleine Kneipe. Sie stürmten darauf zu.
»Sie haben Ihr Essen dabei«, sagte Mr Quin, »und sicherlich wird man Ihnen Kaffee kochen.«
Es war ein kleines Lokal, ziemlich dunkel, und durch das einzige winzige Fenster fiel nur wenig Licht, doch im Kamin brannte ein behagliches Feuer. Eine alte Korsin warf gerade eine Hand voll Reisig darauf. Die Flammen züngelten heller, und in ihrem Schein entdeckten die Neuankömmlinge, dass noch mehr Gäste da waren.
Drei Leute saßen an einem Holztisch. Die Szene hatte etwas Unwirkliches, fand Mr Sattersway, und die drei Gäste selbst erschienen ihm sogar noch unwirklicher.
Die Frau am Kopfende sah wie eine Herzogin aus oder vielmehr so, wie man sich gewöhnlich eine Herzogin vorstellte. Sie war das Ideal einer großen Dame. Sie trug ihren aristokratischen Kopf sehr hoch, das schneeweiße Haar war schön gekämmt. Ihr graues Kleid umspielte sie in künstlerischen Falten. Die eine lange weiße Hand stützte ihr Kinn, in der anderen hielt sie ein Brötchen mit Gänseleberpastete. Zu ihrer Rechten saß ein Mann mit einem sehr weißen Gesicht, sehr schwarzen Haaren und einer Hornbrille. Er war sehr vornehm und teuer gekleidet. Im Augenblick hatte er den Kopf zurückgeworfen und die linke Hand ausgestreckt, als wolle er ein Gedicht vortragen.
Auf der anderen Seite der weißhaarigen Dame saß ein freundlicher kleiner Mann mit einer Glatze. Er wirkte so unauffällig, dass man keinen zweiten Blick auf ihn verschwendete.
Nach einem kurzen Augenblick des Unbehagens übernahm die Herzogin – die echte – die Initiative.
»Was für ein schrecklicher Sturm«, sagte sie fröhlich und trat auf die Gruppe zu, ein energisches Lächeln um die Lippen, das ihr bei Wohltätigkeitssitzungen und Ähnlichem häufig genützt hatte. »Vermutlich hat er Sie genauso überrascht wie uns? Aber Korsika ist eine wunderschöne Insel. Ich bin erst heute Vormittag angekommen.«
Der Mann mit dem schwarzen Haar stand auf, und die Herzogin ließ sich anmutig auf seinem Stuhl nieder.
»Wir sind schon eine Woche da«, sagte die weißhaarige Dame.
Mr Sattersway schreckte auf. Konnte man diese Stimme je vergessen, wenn man sie einmal gehört hatte? Sie hallte durch den Raum mit seinen steinernen Wänden, getragen von Gefühlen, von schönster Melancholie. Ihm schien, als habe die weißhaarige Frau etwas Herrliches, Unvergessliches gesagt, voller Bedeutung. Sie hatte mit dem Herzen gesprochen.
Hastig flüsterte er Mr Tomlinson zu: »Der Mann mir der Brille ist Mr Vyse – ein Produzent, wissen Sie!«
Der pensionierte Richter aus Indien betrachtete Mr Vyse mit unverhohlenem Missfallen.
»Was produziert er denn?«, fragte er. »Wurst?«
»Was für ein Gedanke! Natürlich nicht«, antwortete Mr Sattersway entsetzt über die Erwähnung von so etwas Gewöhnlichem im Zusammenhang mit Mr Vyse. »Er macht Theaterstücke.«
»Ich glaube«, sagte Naomi, »ich gehe wieder raus. Es ist so heiß hier drin.«
Der harte, laute Ton ihrer Stimme ließ Mr Sattersway zusammenfahren. Sie schob Mr Tomlinson zur Seite und schritt wie blind auf die Tür zu. Doch plötzlich stand sie Mr Quin gegenüber, der ihr den Weg vertrat.
»Setzen Sie sich wieder hin!«, befahl er.
Seine Stimme war sehr energisch. Zu Mr Sattersways Erstaunen gab Naomi nach kurzem Zögern nach. Sie setzte sich ans Ende des Tisches, so weit wie möglich von den übrigen entfernt.
Mr Sattersway wurde eifrig und nagelte den Produzenten fest. »Vielleicht erinnern Sie sich nicht mehr«, begann er, »mein Name ist Sattersway.«
»Aber natürlich!« Eine lange knochige Hand schoss vor und drückte die seine schmerzhaft: »Mein lieber Freund, wer hätte gedacht, Sie ausgerechnet hier zu treffen! Sie kennen sicherlich Miss Nunn?«
Mr Sattersway gab es einen Stoß. Kein Wunder, dass ihm ihre Stimme so bekannt vorgekommen war. Tausende von Zuhörern in ganz England hatten diese herrlichen gefühlvollen Töne schon fasziniert. Rosina Nunn! Die bedeutendste Tragödin Englands. Auch Mr Sattersway gehörte zu ihren eifrigsten Bewunderern. Keiner konnte wie sie eine Rolle so hervorragend interpretieren, mit den feinsten Schattierungen der Bedeutung eines Wortes. Er hatte sie immer für eine intellektuelle Schauspielerin gehalten, die ihre Rolle verstand und sie bis ins Innerste durchdrang.
Es war entschuldbar, dass er sie nicht
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