Der seltsame Mr Quin
auch«, erklärte Naomi. »Sie machen mir damit ein Kompliment, ohne es zu ahnen.«
Es war die seltsame futuristische Studie einer Feige, gerade noch erkennbar. Graugrün mit starken Farbflecken, sodass die Frucht schimmerte wie ein Diamant. Eine wirbelnde Masse Verwesung, fleischig, faulend. Mr Sattersway erschauerte und wandte den Kopf ab.
Naomi sah ihn an und nickte verständnisvoll.
»Ich weiß«, sagte sie. »Aber sie ist wirklich so.«
Die Herzogin räusperte sich. »Heutzutage ist es offenbar nicht schwierig, Maler zu werden«, bemerkte sie vernichtend. »Statt die Dinge genau wiederzugeben, klatscht man Farbe auf die… ich glaube, man nimmt gar keine Pinsel mehr, sondern…«
»Sondern einen Spachtel«, unterbrach sie Naomi und lächelte wieder breit.
»Und eine Menge Farbe«, fuhr die Herzogin fort. »In dicken Klumpen. Und siehe da, jeder sagt: ›Wie gekonnt!‹ Nun, ich habe für so etwas kein Verständnis. Ich möchte lieber…«
»Einen schönen Hund oder ein hübsches Pferd, gemalt von Edward Landseer.«
»Und warum auch nicht?«, fragte die Herzogin. »Was hast du gegen Landseer?«
»Nichts«, sagte Naomi. »Er ist in Ordnung. Und Sie sind auch in Ordnung. Die Fassade der Dinge ist immer hübsch und glänzend und glatt. Ich habe Respekt vor Ihnen, Herzogin. Sie haben Energie. Sie haben sich mit dem Leben auseinandergesetzt und sind Sieger geblieben. Doch die Leute, die unten sind, sehen die Unterseite der Dinge. Und das ist auf seine Art auch interessant.«
Die Herzogin starrte sie verblüfft an.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wovon du sprichst«, erklärte sie.
Mr Sattersway betrachtete immer noch die Bilder. Im Gegensatz zur Herzogin bemerkte er die vollkommene Technik, mit der sie gemalt worden waren. Er war aufgeregt und begeistert. Er sah das Mädchen an und fragte:
»Würden Sie mir eines verkaufen, Miss Carlton-Smith?«
»Für fünf Guineas können Sie jedes haben«, antwortete sie gleichmütig.
Mr Sattersway zögerte eine Minute oder zwei und wählte dann die Studie einer Feige und einer Aloe, mit einem lebhaften Fleck von gelben Mimosen im Vordergrund und wehenden roten Aloeblüten. Das Ganze sachlich streng betont durch die lange ovale Form der Feige und die spitzen schwertartigen Blätter der Aloe.
Er machte vor dem Mädchen eine kleine Verbeugung.
»Ich bin sehr glücklich, dieses Bild ergattert zu haben, und glaube, es ist ein gutes Geschäft. Eines Tages werde ich dieses Bild mit einem hohen Gewinn verkaufen können, Miss Carlton-Smith – falls ich das möchte.«
Das Mädchen beugte sich vor, um feststellen zu können, welches Bild er gewählt hatte. Ein neuer Ausdruck trat in ihre Augen. Zum ersten Mal schien sie seine Existenz zur Kenntnis zu nehmen, und es lag so etwas wie Respekt in dem kurzen Blick, den sie ihm zuwarf. »Sie haben sich das Beste ausgesucht«, erklärte sie. »Das freut mich.«
»Nun, vermutlich wissen Sie, was Sie tun«, sagte die Herzogin. »Und ich nehme an, Sie haben Recht. Soviel ich gehört habe, kennen Sie sich aus. Aber Sie können mir nicht einreden, dass dieses neumodische Zeug Kunst ist. Doch lassen wir das. Ich bin nur ein paar Tage hier und würde gern von der Insel ein wenig sehen. Du hast doch sicherlich ein Auto, Naomi?«
Das Mädchen nickte.
»Großartig«, sagte die Herzogin. »Dann machen wir morgen einen kleinen Ausflug.«
»Es ist nur ein Sportwagen mit zwei Sitzen.«
»Unsinn. Da gibt’s noch den Notsitz, und der reicht für Mr Sattersway.«
Sattersway entfuhr ein entsetzter Seufzer. Er hatte am Morgen die korsischen Straßen gesehen. Nachdenklich musterte Naomi ihn. »Ich fürchte, der Wagen taugt nicht viel«, antwortete sie. »Es ist eine schreckliche alte rostige Karre, die ich zu einem Spottpreis aus zweiter Hand gekauft habe: Ich komme gerade noch den Berg hinauf. Ich kann unmöglich jemanden mitnehmen. Im Ort gibt es eine sehr gute Garage, wo man einen Wagen leihen kann.«
»Einen Wagen leihen?«, rief die Herzogin empört. »Was für eine Idee! Wer war eigentlich der nette Mann, der vor dem Mittagessen mit dem Wagen ankam? Er sah ziemlich gelb aus.«
»Sie meinen offenbar Mr Tomlinson. Er war Richter in Indien.«
»Deshalb ist er so gelb«, stellte die Herzogin fest. »Ich hatte schon Angst, es sei die Gelbsucht. Er macht einen recht ordentlichen Eindruck. Ich werde mal mit ihm reden.«
Als Mr Sattersway am Abend zum Essen herunterkam, unterhielt sich die Herzogin, die im Glanz von schwarzen Perlen
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