Der Semmelkoenig
Notizblock aus der Tasche.
»Frau Blum, es tut mir leid, dass ich Sie jetzt mit ein paar Fragen bezüglich Ihrer Tochter belästigen muss, aber es ist wichtig, damit wir den Täter so schnell wie möglich finden können.«
Ihm fiel selbst auf, wie heruntergeleiert seine Worte klangen. Aber was sollte er machen? Es mussten so schnell wie möglich Antworten gefunden werden.
»Ja, ja, verstehe schon, Herr Kommissar.«
Sie wischte sich mit dem durchweichten Papiertaschentuch die Augen.
»Aber vorher muss ich wohl Frau Vogler zeigen, wo der Tee ist.«
Sie machte jedoch keine Anstalten aufzustehen, sondern starrte lediglich auf die Tür, durch die Steffi verschwunden war.
»Ach, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Meine Assistentin ist eine patente Person und wird sich schon melden, wenn sie Hilfe braucht.«
»Wenn Sie meinen.«
Eine Pause entstand. Immer noch starrte sie die Tür an. Maus räusperte sich.
»Frau Blum, erzählen Sie mir alles, was Ihre Tochter gestern Abend gemacht hat. Lassen Sie nichts aus, denn jedes kleinste Detail könnte wichtig sein.«
Wieder eine Pause. Er fragte sich, ob sie ihm überhaupt zuhörte oder ob ihre Gedanken eher bei einer Inventur der Teesorten ihres Küchenschranks waren.
»Frau Blum? Wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen?«
»Die Heidi? Mei, wir hatten zusammen Abendbrot. Na ja, eigentlich hat sie nur etwas getrunken, denn sie hat wieder so ’ne Diät gemacht. Wir haben am Küchentisch gesessen, aber viel geredet haben wir nicht.«
Traurig schüttelte sie den Kopf.
»Als sie klein war, war sie so ein liebes Kind. Immer hat sie mir alles erzählt. Wir waren mehr als nur Mutter und Tochter. Wir waren Freundinnen. Tja, bis..«, sie schluchzte leise, »… bis sie in die Pubertät kam. Dann hatten wir nur noch Streit.«
»Hm, na ja, das passiert in diesem Alter ja häufiger. Kinder müssen sich an ihren Eltern reiben, um ihren eigenen Weg zu finden. Aber jetzt erzählen Sie doch weiter. Was ist nach dem Abendessen passiert?«
»Tja, ich musste mich ein bisschen schicken, denn donnerstags ist immer mein Flamenco-Kurs in der Volkshochschule.«
Maus – eigentlich durch seine eigene Gattin daran gewöhnt, dass Frauen unter Freizeitgestaltung etwas anderes verstehen als Männer – war dennoch überrascht und versuchte, sich vorzustellen, wie die große, etwas mollige und vor allem hellblonde Sandra Blum wohl mit Kastagnette und einem enganliegenden Flamencokleid aussehen würde? Eigentlich hätte sie seiner Meinung nach doch viel besser in eine bayerische Volkstanzgruppe gepasst. Als ob sie seine Gedanken erraten hätte, kam auch gleich eine Erklärung.
»Ich liebe Spanien. Und Flamenco ist ein Tanz, wo Männer nichts zu sagen haben. Und bei uns sind sowieso keine dabei. Wir sind eine reine Frauengruppe und es macht mir sehr viel Freude!«
»Aber natürlich«, murmelte Maus, »Wer liebt Spanien nicht? Sonne, Strand, Paella, stolze Menschen, Stierkämpfe, Siesta, ein König, guter Rotwein, Weltmeister und Europameister …«, jetzt fiel ihm nichts mehr zu dem Thema ein, aber Frau Blum schien zufrieden und nickte kurz.
»Gut. Sie sind also zu Ihrem Kurs gegangen. Was war mit Heidi?«
Sandra Blum zuckte zusammen. Es war offensichtlich, dass sie mit ihren Gedanken Zuflucht an einem männerlosen Strand auf der iberischen Halbinsel gesucht hatte. So brutal wieder in die Realität zurückgerissen zu werden, war zu viel für sie. Ihre Unterlippe begann zu zittern und sie drückte das aufgeweichte Papiertaschentuch wieder gegen ihre Augen.
»Ich … ich hab sie da zum letzten Mal gesehen! Sie saß am Küchentisch und hat irgendwelche SMS geschrieben. Ich weiß gar nicht, ob wir uns verabschiedet haben. Oh mein Gott …«, das Papiertaschentuch war nicht mehr zu gebrauchen, daher begann sie es zu einer Kugel zusammenzuknüllen. »Ich glaube, meine letzten Worte waren ›Räum dein Zimmer auf‹!«
Eine leichte Unruhe stieg in dem Kommissar auf. Er war noch längst nicht mit seiner Befragung fertig, aber Frau Blum schien ihre Grenzen fast erreicht zu haben. Jetzt musste er behutsam vorgehen, wenn er noch so viel wie möglich erfahren wollte. Und das wollte er, denn seine Erfahrungen hatten ihn gelehrt, dass die wertvollsten Informationen gerade dann kamen, wenn die Menschen keine Zeit hatten, lange nachzudenken, um eventuell lügen zu können.
»Frau Blum, jetzt nehmen Sie sich das mal nicht so zu Herzen. Sie konnten doch nicht ahnen, was passieren würde. Und
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