Der Semmelkoenig
Türschwelle erschienen war, verfluchte. Die Stimmen im Raum überschlugen sich mittlerweile. Hammer und Claudia waren am lautesten, aber auch die anderen standen ihnen in nichts nach.
»Ruhe! Verflixt nochmal, Ruhe! Und zwar alle!«, brüllte Maus, denn er konnte sich nicht mehr konzentrieren.
Es war unfassbar: Da lief ihre Hauptverdächtige immer noch frei auf dem Gelände herum, und seine Leute stritten sich wie Spatzen um irgendwelche Brotkrumen. Der Lärm verstummte sofort. Befriedigt aufschnaufend wandte Kommissar Maus sich wieder der gerade sehr kooperativen Frau Blum zu.
»Wo? Wo könnte Frau Klöter jetzt sein? Wir müssen sie schnellstens finden!«
»Ich … ich hab keine Ahnung!«
Es schien so, als ob sie durch die Erinnerung an ihre ehemalige Komplizin gleich in Tränen ausbrechen würde. Beruhigend strich Erika ihr über den Rücken und sah Maus dabei finster an.
»Müssen Sie sie denn jetzt noch so quälen? Sie sehen doch, dass sie fix und fertig is!«
»Tut mir leid, doch Frau Blum ist die Einzige, die uns hierfür sachdienliche Hinweise geben kann.«
Aber bevor Maus und Erika einen weiteren Schlagabtausch durchführen konnten, sprach Sandra Blum weiter: »Ich hab sie nicht mehr gesehen, seit sie die Hinrichtung vorbereitet hat. Ich wollte nicht dabei sein. Ich hab sie angefleht, es nicht zu tun, aber sie hat nicht mit sich reden lassen, hat mich nur mit ihren kalten Augen angeschaut und dann ausgelacht. Sie müssen mir glauben, dass ich nichts für Josef hatte tun können. Sie … sie ist plötzlich ein ganz anderer Mensch gewesen. Sie hat mich sogar geschlagen, mich bedroht, mir gesagt, dass es mir so wie Anni gehen würde, wenn ich sie behindern wollte, ihr in die Quere kommen würde. Sie … Oh Gott! Sie ist wahnsinnig! Sie hat die Anni einfach so erschossen, müssen Sie wissen. Weil die für ihren Geschmack zu frech wurde, sich eingemischt hat. Dabei hat die doch gar nix gewusst! Gar nix über uns, über unseren schönen Plan, ein neues Leben in einem warmen Land zu beginnen. Mit dem Geld endlich sorgenfrei zu sein. Herr Kommissar!«, ihre Stimme war mittlerweile so schrill geworden, dass Doktor Frank sich sofort über seine Arzttasche beugte, um ein gutes Beruhigungsmittel zu suchen. »Verstehen Sie, Herr Kommissar! Sie ist gefährlich, unberechenbar, total verrückt! Wenn die schon einen Menschen erschießt, der ihr dumm gekommen is, sie provoziert hat, dann hätt sie doch auch bei mir nicht lange gefackelt! Was hätt ich denn tun sollen? Ich konnt doch nix für den Möller tun … Ich konnt ihm nicht helfen. Ich musst mich doch selbst schützen. Ich bin dann …«
Sie ließ den Tränen freien Lauf, bemerkte sie nicht einmal, sah nur Maus verzweifelt ins Gesicht, schniefte dann laut, blickt traurig zu Josef Möllers leblosem Körper, dann entschuldigend zu Hannes, der ihr dafür ein kleines verzeihendes Lächeln zurückgab, was sie dankbar annahm. Sie straffte die Schultern, um ihre Geschichte zu beenden.
»Ich bin dann weggelaufen, aus dem Raum. Hab mich im Gang versteckt, wollt mir selbst schon was antun, aber dann hat plötzlich Erika vor mir gestanden …«
»Oooch, mein armes Mädchen!«
Erika hatte die Arme um die weinende Freundin geschlungen und sie an sich gedrückt. Sanft und beruhigend strich sie ihr über den Rücken und machte Maus gleichzeitig mit ihren Augen klar, dass es nun genug war.
188
Wolfgang wand sich auf dem Boden. Das war ihm das letzte Mal in der Schule beim Stepptanzen passiert, als seine ungeschickte Partnerin auf ihren glatten Schuhen ausgerutscht war, und mit hochgestrecktem Bein genau auf ihn zugeschlittert war, während er gerade eine komplizierte Drehung gemacht hatte und in der Grätsche zum Stehen gekommen war. Damals – so erinnerte er sich dunkel –, damals war es nicht ganz so schlimm gewesen. Damals war er guter Hoffnung gewesen, noch Kinder in die Welt setzen zu können; jetzt musste er sich wohl mit dem Gedanken an eine Adoption anfreunden. Aus der Ferne hörte er, wie jemand einen Motor startete. Susanne! Sie wollte wegfahren! Ein kleiner Warnruf machte sich in seinem Inneren bemerkbar, aber er war zu schwach und der unbeschreibliche Schmerz zu stark, stärker als jeder Lebenserhaltungstrieb.
189
»So, Frau Blum. Ich denk, ich gebe Ihnen mal was zur Beruhigung.«
»Doktor, ich weiß nicht, ob das nötig ist«, mischte sich ihre Freundin Erika ein.
Die Kindergartenchefin war von jeher chemischen Produkten gegenüber etwas skeptisch
Weitere Kostenlose Bücher