Der Semmelkoenig
schockierte: der Inhalt oder der scharfe Ton ihrer Worte? Schnell riss er die Augen auf, musste die Frau ansehen, die von einer Sekunde auf die andere vom anschmiegsamen Kätzchen zur giftigen Klapperschlange werden konnte.
»Du hörst mir jetzt mal ganz genau zu und versuchst, einmal im Leben das kleine Hirn zu benutzen, das so traurig in deinem hübschen Kopf vor sich hinwelkt!«, fuhr sie mit schneidender Stimme fort.
»Aber Susanne …«
Sie verdrehte genervt die Augen.
»Verdammt noch mal! Was hab ich dir grad gesagt von wegen Zuhören?«
»Sus…«
»Ich heiß nicht Susanne!«, schrie sie so zur Weißglut getrieben. Ein Speichelsprühregen legte sich auf Wolfgangs Gesicht, aber er merkte es nicht.
181
Krautschneider war verzweifelt. Wie konnte das sein? Und wie sollte er seinem Vorgesetzten jetzt erklären, dass er der gemeingefährlichen Mörderin begegnet war, sie sogar befreit und ihr zur Flucht verholfen hatte? Fieberhaft überlegte er, während die anderen jetzt gespannt auf weitere Ausführungen von Maus warteten, der nur allzu gerne seiner Pflicht nachkam.
»Ja, Herrschaften, mir ist das auch erst im Wäldchen so richtig klar geworden. Wir lagen zwar mit unserer Vermutung, dass eine der Kindergartenmütter dahinterstecken könnte, nicht so falsch, aber da haben wir uns dann doch zu früh auf Frau Blum festgelegt. Wegen ihres Schmerzes über den Tod von Heidi und ihrem berechtigten Hass auf Möller, der auf die Vergewaltigung vor dreißig Jahren zurückzuführen ist, haben wir den Überblick verloren, sind großzügig über Kleinigkeiten hinweggegangen, haben aufgehört, mehrspurig zu denken. Mir fiel dann aber auf, dass da etwas nicht passte, nicht passen konnte. Zum Beispiel, wie es einer einfachen Kassiererin möglich war, einen geldgierigen Bauarbeiter zu bestechen? Nein, dahinter steckte jemand anderes, jemand, der die Kaltschnäuzigkeit, das nötige Kleingeld und die Zeit zur genauen Planung der ganzen Geschichte hatte. Tja, und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen …«
Krautschneiders Gedanken kreisten immer schneller, drehten sich mittlerweile wie ein Tornado, dass es ihm selbst ganz schwindlig wurde. Er hatte schon lange aufgehört, dem Kommissar Gehör zu schenken. Er suchte nach einer Antwort, einer Erklärung und einem Weg, seinen dummen Fehler zu vertuschen.
»Die Frau, die wir jetzt sofort finden müssen, heißt Susanne Klöter, eigentlich Anne Lörtek, Tochter von Oskar Lörtek …«
»… dem Steckerlfischbaron?!«, fiel ihm Hammer aufgeregt ins Wort. »Der, der vor acht Jahren versucht hat, seine mit Bandwürmern verseuchten Forellen doch noch an den Mann zu bringen? Boah, wie ekelhaft. Seitdem ess ich überhaupt nix mehr, was aus dem Wasser kommt. Hat der sich danach nicht erhängt?«
182
Für Wolfgang war die Welt aus den Fugen geraten. Nichts war mehr so wie es sein sollte. Er befand sich mitten in der Nacht auf einer unheimlichen Baustelle, wurde nicht mehr geliebt, und sah sich einer unberechenbaren Furie gegenüber, die ihn schon mehrmals mit hässlichen Schimpfwörtern beschrien hatte. Was zu viel war, war zu viel, deshalb entgegnete er wütend: »Is mir doch scheißegal, wie du heißt und was auch immer du vorhaben solltest und dass ich dich dabei störe! Das interessiert mich nicht, denn du bist krank, hörst du? Du bist so was von krank!«
Das hatte gesessen. Sie war zusammengezuckt, still geworden, hatte den Kopf gesenkt.
»Und überhaupt! Hör endlich auf, mich immer wie einen Idioten dastehen zu lassen, nur weil ich offenbar gar nix weiß. Woher auch!? Du warst es ja schließlich, die mich die ganze Zeit, in der wir zusammen waren, belogen und hintergangen hat. Da brauchst du jetzt nicht so selbstgerecht daherreden und mich noch dazu beschimpfen!«
Vollkommen gerührt von seinen eigenen, aus dem Schmerz himmelschreiender Ungerechtigkeit geborenen Worten, musste er innehalten, sich sammeln, kurz ausschnaufen. Leider hatte sie anscheinend nur darauf gewartet, um wieder mit giftiger Zungenspitze einem Messer gleich in sein Herz zu stechen.
»Ihr Männer seid doch alle gleich! Ihr denkt, ihr seid Gottes Geschenke, spielt euch als Beherrscher auf, denkt, ohne euch geht es nicht, mischt euch in alles ein, wollt unser Leben zerstören. Und du, mein lieber, schöner Wolfi, bist da keine Ausnahme. Du willst mich wie der Möller Sepp einschränken, bevormunden, aufhalten. Dabei bist du ein NICHTS, ein kleiner, dummer, schwanzgesteuerter Betthase mit
Weitere Kostenlose Bücher