Der Sensenmann
lachte zugleich. Sein Kopf war rot geworden. Nur das Haar lag noch immer so glatt gescheitelt. »Da ist tatsächlich jemand auf dem Burghof gewesen.«
»Wer?«
»Das habe ich nicht genau erkennen können«, flüsterte er. »Die Gestalt ist dann auch verschwunden. Sie nahm den Weg zum Restaurant mit der Aussichtsterrasse.«
»War es der Sensenmann?« fragte Sarah.
Eberle wußte nicht, was er ihr erwidern sollte. Er zog die Schultern hoch und sah plötzlich sehr klein und alt aus. »Ich weiß es wirklich nicht genau.«
»Ich habe Ihnen die Gestalt doch beschrieben.« Lady Sarah malte den Schlapphut nach. »Hat er so etwas vielleicht auf seinem Kopf getragen, Herr Eberle?«
»Das könnte sein«, gab der Heimleiter zu.
»Wunderbar.«
»Wieso?«
»Dann hat er das Haus verlassen.«
Bobby Eberle sagte nichts und ging wieder zu seinem Schreibtisch, wo er den Telefonhörer abhob.
»Wen wollen Sie anrufen? Die Polizei?«
»Nein, meine Frau. Wir wohnen oben. Kann sein, daß sie etwas gesehen hat.«
»Ja, das ist möglich.«
Sarah hörte die Stimme durch das Telefon und dai n die Frage des Mannes. »Kannst du mal zu mir ins Büro kommen, Gerhild?«
»Warum denn?« Sie sprach so laut, daß Sarah ihre Stimme hörte. »Ich wollte gerade ins Bett gehen. Du weißt genau, daß ich morgen ins Geschäft muß, um die Tochter zu unterstützen…«
»Trotzdem…«
»Ja, bis gleich.«
»Sie kommt, Frau Goldwyn.«
»Das habe ich mitbekommen.«
»Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke, ich möchte dann auch wieder zurück zu meiner Freundin gehen.«
Eberle nickte geistesabwesend und ebenso sprach er auch die nächsten Worte. »Er hatte sogar eine Sense glaube ich. Ich… ich… konnte das Schimmern sehen.«
»Die gehört zu ihm.«
Der Heimleiter sprach nicht mehr. Er mußte erst seinen Schock überwinden.
Nicht einmal eine Minute später war Gerhild Eberle zur Stelle. Sehr forsch drückte sie die Tür auf, blieb stehen, schaute sich um und fragte: »Ach, du hast Besuch?«
»Ja, Gerhild. Das ist Sarah Goldwyn, eine Lady aus London, die von Maria Much eingeladen wurde.«
Gerhild Eberle nickte Sarah zu. Sie war um die fünfundfünfzig. Das dichte blonde Haar war modisch geschnitten. Die Frisur paßte zu ihr. Die Augen waren in ständiger Bewegung, und sie blies einige Male ihre Wangen auf.
»Was ist denn nun passiert, Bobby. Mach es nicht so spannend. Du stehst hier herum wie jemand, der alles verloren hat und nicht weiß, wie er anfangen soll.«
»So komme ich mir auch vor.«
Sarah kam ihm zu Hilfe. »Ihr Mann und ich haben etwas entdeckt, das es eigentlich gar nicht geben darf.«
»Ach – was denn?«
»Einen Sensenmann.«
Die Antwort hatte Bobby gegeben. Nur kurz blickte seine Frau ihn an, dann ging sie auf ihn zu und legte ihm die flache Hand gegen die Stirn. »Heiß, mein Lieber, richtig heiß.«
»Verdammt, ich habe kein Fieber.« Er trat zurück. »Ich bin auch nicht reif für die Klapsmühle.«
Gerhild lachte nicht eben freundlich. »Wo habt ihr ihn denn gesehen, diesen Sensenmann?«
»Auf dem Burghof.«
»Beide zugleich?«
»Nein, zuerst habe ich ihn gesehen. Ich habe Ihrem Mann von meiner Entdeckung berichtet, und er wollte mir aus verständlichen Gründen nicht glauben.«
»Ja, ja, das ist normal.«
»Aber er schaute selbst nach.« Sarah ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Und er sah ihn ebenfalls.«
Gerhild Eberle blieb auf dem Fleck stehen. Sie schob ihr Kinn vor, schaute Sarah an, dann ihren Mann und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ihr seid beide nicht mehr bei Trost. Wenn ich das morgen meiner Schwester Elke am Telefon erzähle, lacht die sich krumm und wird mich fragen, ob du mal wieder zuviel Rauchbier geschluckt hast, Bobby.«
»Kein Glas.«
Sie winkte ab und ging zum Fenster. Sie zog es sogar auf und schaute hinaus.
»Er ist längst verschwunden, Gerhild.«
»Ja, das sehe ich.« Sie schloß das Fenster und drehte sich wieder um. »Und ich glaube, daß er niemals hier auf dem Burghof gewesen ist. Ihr habt euch da etwas eingebildet. Ich jedenfalls gehe jetzt ins Bett. Dabei war ich schon ausgezogen.« Sie schüttelte den Kopf und eilte auf die offene Tür zu. Dabei fragte sie: »Wann bist du oben, Bobby?«
»Später.«
»Dann sucht mal euren Sensenmann.« Das war ihr letzter Satz. Danach verschwand sie.
»Ich kann meiner Frau nicht einmal einen Vorwurf machen«, sagte Bobby Eberle. »Ihnen habe ich zunächst auch nicht geglaubt.« Er ob die Schultern und strich
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