Der Sensenmann
Er war damit beschäftigt gewesen, Unterlagen in einen Schrank zu räumen, drehte sich hastig um und sagte: »Himmel, Sie haben mich erschreckt!«
»Das wollte ich nicht, aber ich bin auch geschockt worden.«
»Wieso?«
Sarah redete nicht erst um den heißen Brei herum und sagte: »Wir haben eine Tote im Haus!«
Eberle saugte zischend die Luft ein. »Was haben Sie da gesagt?«
»Ja. Es ist Maria Much.«
»Ihre… Ihre«, er fing an zu stottern. »Ihre Freundin?«
»Genau.«
»Nein!« Eberle trat zurück. Der Schreibtisch stoppte ihn mit seiner Kante. »Das ist doch nicht möglich.«
»Rufen Sie die Mordkommission an.«
Der Heimleiter war noch nicht dazu in der Lage. »Aber wieso denn? Wie konnte das passieren?«
»Es war der Sensenmann. Er hat mit seiner Sense meiner Freundin die Kehle durchgeschnitten.«
Bobby Eberle schüttelte den Kopf und stöhnte auf. »Das… das wird ja immer schlimmer. Warum denn?«
»Keine Ahnung.« Sie sagte nichts von eventuellen Zeugen, weil sie Eberle nicht beunruhigen wollte. Dafür erinnerte sie ihn daran, die Polizei zu informieren. »Am besten den Beamten, der auch die Untersuchung bei den anderen beiden Toten leitete.«
»Klar, werde ich machen.«
Bobby Eberle war immer noch geschockt. »Ein Mord bei uns im Heim«, murmelte er immer wieder. »Nicht zu fassen! So was will einfach nicht in meinen Kopf.« Er telefonierte schließlich mit der Polizei und kannte sogar den Namen des zuständigen Beamten. Es war Kommissar Hinz.
»Und was werden Sie tun, Frau Goldwyn?«
»Ich ziehe hier aus.«
»Kann ich verstehen.«
»Ich habe da an der Regnitz ein Hotel gesehen.«
»Ja, das Residenzschloß.«
»Genau, dort werde ich mir ein Zimmer mieten. Haben Sie ein Telefonbuch?«
»Die Nummer habe ich mir notiert. Warten Sie.« Er holte einen Zettel unter der Schreibtischunterlage hervor und nannte der Horror-Oma die Telefonnummer. Ohne zu zögern rief sie an und bestellte zwei Zimmer, wobei das eine noch in dieser Nacht von ihr bezogen werden sollte.
»Zwei Zimmer?« fragte Bobby Eberle. »Ich will nicht neugierig sein, aber das ist…«
»Ich erwarte Besuch.«
»Ah so.« Mit zittrigen Händen klaubte Bobby Eberle eine Zigarette aus der Packung. »Ich rauche nicht oft, aber jetzt kann ich ein Stäbchen vertragen. Und auch einen Schluck.«
»Was haben Sie denn?«
» Himbeerschnaps.«
Lady Sarah nickte. »Ja, das ist genau das Richtige auch für mich. Aber bitte einen Doppelten.«
»Selbstverständlich.«
Der Schnaps wurde bis zum Rand in die kleinen Stamperl gefüllt. Sie prosteten sich nicht zu, und beide leerten das Glas mit einem Zug. Wobei Lady Sarah an ihre Freundin dachte, die sie nie mehr wieder besuchen konnte…
***
Zwei Stunden später – es war schon nach Mitternacht fuhr das Taxi vor dem Hotel vor. Der Fahrer war so freundlich, Sarah das Gepäck auf das Zimmer zu bringen, das in der ersten Etage lag. Wenn sie aus dem Fenster blickte, konnte sie den Fluß sehen, der ruhig dahinströmte.
Sie fuhr mit dem Lift noch einmal nach unten und trug sich in das Anmeldeformular ein. Der junge Mann an der Rezeption sah war übermüdet aus, war jedoch sehr freundlich.
»Dann wünsche ich Ihnen noch eine angenehme Nacht, Mrs. Goldwyn«, verabschiedete er sie auf Englisch.
»Danke sehr.«
Im Zimmer war es angenehm warm. Sarah dachte zurück an das Gespräch mit dem Kommissar. Sie hatten sich für eine Weile allein unterhalten und der Mann wußte auch, welcher Besuch ihn aus London erwartete. Er hatte sich mit Kommentaren zurückgehalten und auch nichts Näheres über den Sensenmann gesagt. Doch er hatte nicht abgestritten, daß die beiden anderen Toten auf eine ähnliche Art und Weise ums Leben gekommen waren. Da konnte man bereits von einem Phantom aus Bamberg sprechen.
Natürlich hatte Sarah auch nach Motiven gefragt, doch der Kommissar hatte nur die Achseln gezuckt.
»Wissen Sie es wirklich nicht?« hatte sie gefragt.
»Nein.«
»Kann es mit einem Ereignis in der Vergangenheit zu tun haben?«
Kommissar Hinz hatte nur mit den Schultern gezuckt und sich abgewandt. Das war für Lady Sarah Antwort genug gewesen.
Sie war jetzt bis an das Fenster herangetreten. In seiner Länge erreichte es fast den Boden. Es war nur noch ein schmaler Platz für die Heizrippen zurückgelassen worden.
Sie hatte die Gardine zur Seite geschoben und schaute auf das dunkle Wasser der Regnitz.
Nur wenige Lampen spendeten um diese Zeit noch Licht. Das meiste wurde von der Dunkelheit
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