Der Serienmörder von Paris (German Edition)
einige der mutmaßlichen Komplizen aus der Haft zu entlassen. Fourrier und Pintard wurden am 4. Juli aufgrund unzureichender Beweise auf freien Fuß gesetzt, gefolgt von Simone Neuhausen und Roland Porchon. Am 30. September 1944 entließ man auch Georgette vorläufig. Maurice Petiot, René Nézondet und Albert Neuhausen blieben in Haft.
Die Polizei arbeitete noch daran, Petiots wahrscheinliche Opfer zu identifizieren. Massu, der fest daran glaubte, dass man die Presse geschickt bei seiner Ermittlung einsetzen konnte, hatte eine sehr detaillierte Liste von ausgewählten Gegenständen aus den Koffern veröffentlichen lassen, in der Hoffnung, dass jemand nützliche Hinweise liefern würde.
Als sie die Zeitung in ihrem Haus in der Rue du Faubourg Saint-Denis 207 las, erregte die Beschreibung zweier Kleidungsstücke Marguerite Braunbergers Aufmerksamkeit. Das erste war ein dunkelblaues Männerhemd mit dünnen weißen Streifen, Kragengröße 40, geschneidert von der Firma David in der Avenue de l’Opéra, das andere ein grauer Filzhut mit den Initialen „P. B.“, gefertigt von A. Berteil in der Rue du Quatre-Septembre. Ihr Mann, der 66-jährige Arzt Dr. Paul-Léon Braunberger hatte am Tag seines Verschwindens ein Hemd und einen Hut getragen, auf die die Beschreibung zutraf. Um 8.30 Uhr am Morgen des 20. Juni 1942 hatte Dr. Braunberger einen Notruf erhalten. Ein Patient, wohnhaft in der Rue Duret im 16. Arrondissement, hatte unter akuten gesundheitlichen Problemen gelitten. Der Anrufer hatte weder Angaben zu den Beschwerden, dem Namen der Person oder der exakten Adresse machen wollen. Er hatte den Arzt darum gebeten, sich mit ihm um 11 Uhr an der Métro-Station L’Étoile zu treffen.
Solche Sicherheitsvorkehrungen waren zu der Zeit durchaus nicht ungewöhnlich. Die Nazis übten einen unvorstellbaren Druck auf die jüdischen Bürger der Besatzungszone aus. Sie mussten seit dem vorhergehenden Monat einen gelben Stern ungefähr in der Größe einer Handinnenfläche tragen, gut sichtbar angenäht auf der Kleidung. Für die Juden bestand von nun an ein hohes Risiko, einfach von der Straße weg verhaftet zu werden. Die Deutschen hatten den französischen Behörden den Befehl erteilt, in den ersten Monaten des Jahres 1942 mindestens 100.000 jüdische Bürger zu deportieren.
Braunberger machte den Eindruck, als würde er den Anrufer kennen. Er verließ das Appartement zu Fuß und trug nur eine Arzttasche bei sich. 30 Minuten nach dem verabredeten Treffen an der Métro-Station erhielt ein Patient von Braunberger, der Versicherungskaufmann Raymond Vallée, wohnhaft in der Rue Condorcet 20 einen Brief per Eilzustellung. Angeblich stammte er von Dr. Braunberger und war auch tatsächlich auf seinem Schreibpapier verfasst worden.
„Ich wurde beinahe verhaftet, aber mir gelang die Flucht“, schrieb der Autor der Zeilen. „Erzählen Sie bitte meiner Frau, dass ich nicht nach Hause kommen werde. Sie soll die wertvollsten Gegenstände in einen Koffer packen und sich für eine Flucht in die freie Zone und danach zu einem weiteren Ziel vorbereiten.“ Weitere Details folgten. Der Autor instruierte Vallée, kein Wort über den Vorfall zu verlieren. Er sollte lediglich Braunbergers Patienten informieren, dass der Arzt bei einem Hausbesuch in den Vororten plötzlich erkrankt sei und seine Dienste im Moment nicht offerieren könne.
Verwirrt über den Erhalt eines solchen Briefs von seinem Doktor, brachte Vallée ihn wenige Tage später zu Marguerite Braunberger, die selbst zwischenzeitlich zwei schriftliche Nachrichten erhalten hatte. Der erste Brief, datiert auf den 22. Juni, berichtete ebenfalls von der Geschichte der fehlgeschlagenen Verhaftung und der Flucht. Ihr Mann mahnte sie vorgeblich zur Vorsicht, da sie unter Beobachtung stehe. Er werde ihr in Kürze nähere Anweisungen geben. Wie das an Vallée gerichtete Schriftstück, so war auch dieser Brief auf Braunbergers Papier geschrieben worden. Die Handschrift schien echt zu sein, wenn auch gehetzt, unsicher und auf eine bestimmte Art verzerrt. Die Stempel stammten vom Postamt in der Rue la Boétie, nicht weit von der Métro-Station L’Étoile gelegen.
Am folgenden Tag, dem 23. Juni, hatte Madame Braunberger ein zweiter Brief erreicht, diesmal auf schlichtem Papier, der sie darüber informierte, dass ihr Gatte die weitere Kommunikation einschränke wegen der „Furcht, [dass] die Briefe gelesen werden“. Er riet ihr, couragiert aufzutreten, die Anweisungen des Freundes
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