Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Flucht ergriffen.
Wenn Petiot sich also nur wenige Tage im Salvage-Appartement aufhielt, musste es eine andere Person geben, die ihm einige Monate lang Unterschlupf gewährte. Diese war Georges Redouté, ein 55-jähriger belgischer Fassaden-Anstreicher, der im vierten Stock in der Rue du Faubourg Saint-Denis lebte. Die Polizei begann mit dem Verhör des Mannes am 4. November 1944.
An einem Abend Ende März (es war möglicherweise der 25.) kehrte Redouté um etwa 21 Uhr zu seiner Wohnung zurück. Vor der Tür traf er den Freund und Arzt Marcel Petiot, der einen langen grauen Übermantel trug, einen braunen Anzug, einen beigen Filzhut und eine getönte Hornbrille. Er trug zwei kleine und einen größeren Koffer bei sich. Unverzüglich verwickelte Petiot seinen Freund in ein Gespräch über Zeitungsberichte zur Rue Le Sueur. „Die Leichen“, flüsterte er, „sind die Leichen von Deutschen, die ich selbst hingerichtet habe.“
Zu dem Zeitpunkt kannte Redouté den Freund schon fast drei Jahre. Er hatte ihn bei der Behandlung der Frau eines Kumpels kennengelernt, des Bistro-Besitzers Louis Bézayrie. Petiot erinnerte an ihre Freundschaft. „Du weiß, dass die Deutschen mich wegen der Fluchthilfeorganisation acht Monate lang festhielten. Ich werde immer noch von der deutschen Polizei gesucht. Vielleicht kannst du mich einige Tage lang verstecken?“
Redouté willigte ein und lud den hungrigen, übermüdeten und offensichtlich mittellosen Flüchtigen in sein kleines Appartement ein. Zuerst machte er Petiot eine Suppe und reichte ihm Brot. Am nächsten Tag wollte Redouté nähere Details über die Sache in der Rue Le Sueur erfahren. Petiot wiederholte seine Aussagen vom vorhergehenden Tag und fügte hinzu, dass er abgeschossene Fallschirmspringer versteckt habe und von britischen Flugzeugen abgeworfene Waffen, die er an Kämpfer der Résistance in den ländlichen Gebieten verteilt habe.
„Ich muss Ihnen gestehen“, meinte Redouté, „dass Dr. Petiot nicht viel redete und einige Fragen unbeantwortet ließ.“ Laut Petiot sollten die im Keller verbrannten Leichen ursprünglich von einem Laster abtransportiert werden, doch der hatte eine Panne, woraufhin sich die Kameraden entschieden, „die Leichen auf diese Art verschwinden zu lassen“. Jedoch nannte er nicht die Namen der Mitstreiter. Die Angaben über den dreieckigen Raum, den eisernen Haken und den Spion tat Petiot als ausgemachten Unsinn ab.
Im Mai zog Redoutés 21-jährige Tochter Marguerite Durez in das Appartement ein. Redouté stellte seinen Gast als Capitaine Henri Valeri vor, Mitglied der Résistance auf der Flucht vor der Gestapo. Mittlerweile hatte sich Dr. Petiot einen Bart wachsen lassen und trug außerhalb der Wohnung stets eine dunkle Brille. Durez erinnerte sich daran, dass ihr Vater ihn als „Korsen“ bezeichnete und nicht viele Fragen stellte. Petiot fiel ihr auf, weil er oft dieselbe Kleidung trug und sich seine Schuhe in einem erbarmungswürdigen Zustand befanden.
Gab es Anzeichen, dass Petiot für die Résistance arbeitete?
„Während der Zeit, in der ich ihn versteckte, machte er niemals den Eindruck, als wäre er für eine geheime Organisation tätig“, antwortete Redouté. Er verließ nur selten die Wohnung und wenn, dann bei Nacht. Für jemanden, der angeblich Fly-Tox anführte, erhielt er so gut wie gar keinen Besuch. Nach Angaben des Malers war Petiot sogar „immer allein“.
Doch das stimmte nicht. Beim Gespräch mit Marguerite Durez erfuhren die Ermittler, dass es eine Besucherin gab: Redoutés Freundin, Bistro-Besitzerin Emilie Bézayrie. Die Beamten sollten sie schon bald befragen, doch zuerst durchsuchten sie Redoutés Bleibe.
Im Esszimmer, in dem Petiot geschlafen hatte, fanden sie „eine Trommel mit einer eingravierten deutschen Fahne, zwei Trommelstöcke und einen einzelnen Trommelstock mit gummiertem Ende“. Wie Redouté meinte, beschrieb Petiot das Instrument als eine Trophäe aus der Schlacht um Paris. Darüber hinaus fanden die Ermittler zwei Fahrradplaketten aus Metall und zwei Bücher – Joseph E. Mills Roman L’Enigma du Maillet – Scotland Yard und das Jahrbuch Comite de Forces Françaises 1933–1934 . In einem kleinen Schränkchen in Durez’ Zimmer lag ein Notizbuch mit dem eingeprägten Titel „Gedanken“, das laut Redouté seiner Tochter gehörte. Die Polizei entdeckte 47 Würfel aus Holz, die Petiot nach Aussage des Freundes für eine „Art Pokerspiel“ benutzte.
Am 6. November verhörte die
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