Der Serienmörder von Paris (German Edition)
bestrafen wollten.
Gollety fragte Petiot, warum er seine Geschichte nach der Befreiung nicht der Polizei erzählt habe, wenn er doch für die Résistance so viele patriotische Dienste vollbrachte. Petiot antwortete darauf, die von der „deutschen Presse“ gegen ihn erhobenen Beschuldigungen seien so „grundlegend falsch“ gewesen, dass er sich eigentlich nicht habe vorstellen können, dass überhaupt jemand die Märchen glaubte. Also stand einem Gang zur Kriminalbehörde nichts im Wege. Allerdings gab es doch noch ein Problem: „Ich ging nicht zur Polizei, da man sie noch nicht von Kollaborateuren gesäubert hatte. Darüber hinaus war ich für mein Land bei der Fortführung des Kampfes nützlicher, weshalb ich mich dagegen entschied, die Zeit mit der Klärung persönlicher Angelegenheiten zu verschwenden.“
Es wird wohl niemanden überraschen, dass Gollety während der vorgerichtlichen Verhöre manchmal an einer starken Migräne litt. An einem Tag sah man ihm die Schmerzen deutlich an. Floriot, Petiots Anwalt, erinnerte ihn daran, dass ganz in der Nähe ein Arzt sei. Mit einem herzlichen Lachen bot Petiot an, seinem Vernehmungsbeamten gerne eine Injektion zu verabreichen …
Da Gollety den Wahrheitsgehalt von Petiots Behauptungen hinsichtlich der Verdienste für die Résistance nicht überprüfen konnte, bat er die beiden Lieutenants Jacques Yonnet und Albert Brouard vom militärischen Geheimdienst DGER (Direction Générale des Études et Recherches) zu sich. Die zwei kannten sich genauestens in den Gepflogenheiten und der Tradition des Untergrundkampfes aus und sollten Petiot ausgiebig und gründlich befragen.
Lieutenant Jacques Yonnet hatte den Artikel in der Résistance geschrieben, durch den Petiot gefasst wurde. Der 29-Jährige war von einer deutschen Granate verwundet worden und im Juni 1940 in Boult-sur-Suippe in deutsche Gefangenschaft geraten. Yonnet gelang die Flucht, woraufhin er nach Paris zurückkehrte. Dort lehrte er an einer Berufsschule und sammelte in seiner Freizeit Material für ein Buch über die Geschichte von Paris, das er verfassen wollte, und traf sich mit der intellektuellen und radikal ausgerichteten Bohème. Yonnet benutzte das Pseudonym „Ybarne“, das er sich von einem im Kriegsgefangenenlager gestorbenen Priester „ausgeliehen“ hatte.
Nach dem Beitritt zur Résistance 1943 zeichnete er für den geheimen Funkverkehr und die Anfertigung von Landkarten verantwortlich. Einer der Hauptaufgaben bestand in der Unterstützung Londons dabei, die Bombenangriffe gegen Ziele zu koordinieren, die den Deutschen den größtmöglichen Schaden zufügten, aber trotzdem so wenige Franzosen wie möglich in Gefahr brachten. Yonnet nahm seine Aufgabe sehr ernst und ein großes persönliches Risiko auf sich, als er einen abgestürzten Piloten der Alliierten in seinem Appartement im Pariser Künstlerviertel versteckte. Zusätzlich rekrutierte er Mitkämpfer für die Résistance. Sein Kollege Albert Brouard (Brette), ein 43-jähriger ehemaliger Polizeibeamter, trat der Résistance im Mai 1942 bei und half alliierten Piloten bei ihrer Flucht nach Spanien.
Weder Yonnet noch Brouard hatten je etwas über eine Organisation Fly-Tox gehört. Als sie Petiot nach dem Namen der Mitstreiter fragten, verweigerte dieser die Aussage. Während der Besatzung wäre das eine leicht nachvollziehbare Reaktion gewesen, da eine Aussage das Leben der Kameraden und ihrer Familien unmittelbar bedroht hätte. Doch nach der Befreiung wirkte so eine Haltung, gelinde gesagt, merkwürdig. Auch als Yonnet und Brouard ihm absolutes Stillschweigen zusicherten, ließ sich Petiot davon nicht beeindrucken. Er wollte keinen einzigen Namen eines Mitglieds der Organisation nennen und sträubte sich regelrecht dagegen.
Die Namen, die er aufzählte, warfen nur noch weitere Fragen auf. Petiot wies darauf hin, dass Pierre Brossolette seine Aktivitäten zu bezeugen vermöge, doch dieser Mann konnte gar nichts mehr bezeugen, da er schon vor sieben Monaten gestorben war. Am 22. März 1944, als ihn die Gestapo festnehmen wollte, war Brossolette aus dem Fenster im sechsten Stock eines Hauses in der Rue Foch gesprungen, da er den Tod dem Risiko vorzog, unter Folter die Namen der Kameraden bei der Résistance preiszugeben. Zu den von Petiot erwähnten Namen zählte „Cumulo“ vom Netzwerk Arc-en-Ciel (Regenbogen). Jean-Marie Charbonneaux („Cumuleau“) hatte sich neben anderen Tätigkeiten auf Industrie- und Militärspionage
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