Der Serienmörder von Paris (German Edition)
gewisse Anzahl von Ursachen zugrunde“, die oftmals kompliziert seien. Habe aber ein Mensch die Gesetze entdeckt, könne er alles kontrollieren und zum eigenen Vorteil beeinflussen. Petiot versprach dem Leser, ihn durch das unerforschte Territorium zu geleiten, durch einen „jungfräulichen Wald, benetzt mit dem Tau der Wahrscheinlichkeiten“. Der Versuch, über das Spiel dem „Zufall“ Herr zu werden, sagte viel über den Mordverdächtigen aus – Petiot, der Spieler und Draufgänger, brüstete sich damit, die sich ihm entgegensetzenden Kräfte zu besiegen, egal wie die Wahrscheinlichkeiten, die möglichen Hindernisse auf dem Weg dorthin oder moralische Skrupel ausfallen würden.
Die Strafverfolgungsbehörden bemühten sich zwischenzeitlich weiter um die Klärung der Identität angeblicher Opfer. Am 10. November wurde jede Person, die zwischen dem 1. Januar 1942 und dem 11. März 1944 einen Familienangehörigen oder Freund vermisste, zum Quai des Orfèvres bestellt, um sich die Kleidung, die Haushaltwaren und andere persönliche Gegenstände anzuschauen, die Petiots Opfern gehörten.
Ausgestellt waren 53 Koffer, darunter die im vergangenen Frühjahr auf Neuhausens Dachboden in Courson-les Carrières gefundenen 49 Stücke. Die verbleibenden vier Koffer beinhalteten Gegenstände, die in Schränken in der Rue Le Sueur oder in Neuhausens Haus aufgefunden wurden. Darunter waren drei Blusen, 13 Kleider, 14 Nachthemden, 16 Gürtel und 24 Schlüpfer. Ein Journalist beschrieb die makabere Aufreihung als die „Petiot-Ausstellung in der Galerie Orfèvres“.
Wie viele andere Pariser in diesem Herbst verfolgte auch Petiot die schlagzeilenträchtige Jagd und die letztendliche Verhaftung von Henri Lafont und Pierre Bonny. Am 30. November wurden die beiden dank des Hinweises eines ehemaligen Mitglieds der französischen Gestapo, der die Résistance unterwandert hatte, auf einem Bauernhof im Burgundischen außerhalb Bazoches festgenommen. Das Versteck stand in Verdacht, als Zentrum eines Netzwerks zu dienen, das ehemaligen Gestapo-Mitgliedern und Informanten bei der Flucht aus dem Land half. Die Polizei stürmte die sich noch im Embryonalstadium befindliche „französische Odessa“, verhaftete die Männer und beschlagnahmte Bargeld und Juwelen im Wert von fünf bis zehn Millionen Francs, was nur einen Bruchteil des Schatzes ausmachte, den diese Subjekte während der Besatzung geraubt hatten.
Am 12. Oktober 1944, weniger als zwei Wochen nach der Verhaftung, fällten die Geschworenen den Urteilsspruch. Lafont und Bonny sowie fünf ihrer Männer wurden schuldig gesprochen und von einem Erschießungskommando am 27. Dezember 1944 hingerichtet. Petiot konnte sich des sarkastischen Kommentars nicht enthalten, dass die Verräter würdevoll hingerichtet worden seien, während auf ihn die Guillotine warte. Er empfand das als Ungerechtigkeit, denn schließlich habe er die gleiche Leistung erbracht wie die französische Justiz – nämlich Verräter bestraft.
Der neue Kommissar Lucien Pinault verhörte währenddessen in der Kaserne in Reuilly die Petiot/Valeri nahestehenden FFL-Kameraden. Einer von ihnen, Jean Emile Fernand Duchesne, erinnerte sich an Valeris Ankunft, ungefähr Ende September oder Anfang Oktober. Er war Duchesnes Aussage nach „sehr angesehen“ und stieg die Karriereleiter schnell hinauf. Soweit er sich erinnern konnte, wussten die Vorgesetzten nichts von seiner wahren Identität. Nach dem allgemeinen Konsens dachten die Kameraden, dass „er zu einer Gruppe namens Fly-Tox gehörte und viele Deutsche getötet hatte“.
Duchesne musste jedoch zugeben, dass er nach einiger Zeit glaubte, dass Valeri und Dr. Petiot ein und dieselbe Person seien. Mindestens ein oder zwei Kollegen teilten diese Vermutung. Valeri prahlte damit, dass er „am Mord, oder besser gesagt der Hinrichtung von 63 Menschen beteiligt gewesen war, darunter eines Boxers, den er selbst mit einem Revolver niedergestreckt habe“.
Yvonne Salvage, die Besitzerin eine Appartementhauses mit fünf Wohnungen, in dem sich der Mordverdächtige zum Zeitpunkt seiner Verhaftung aufhielt, erzählte der Polizei, nichts von der wahren Identität geahnt zu haben. Sie überließ ihm das Appartement, um ihrem Sohn Jean einen Gefallen zu erweisen, der sie Ende Oktober darum gebeten habe. Er habe gemeint, dass es lediglich für wenige Tage sei. Salvage wusste nur, dass der Mann Dr. Valeri hieß. Nun wollte die Polizei den Sohn verhören, doch der hatte bereits die
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