Der Serienmörder von Paris (German Edition)
gab damit an, dass er der Résistance beigetreten sei, „bereit zu jedem Opfer“. Nun müsse er sich jedoch einer Situation stellen, in der er „als Mörder und Monster tituliert“ werde.
Nach der Befragung und einer körperlichen Untersuchung, die ergab, dass Petiot sich mit Ausnahme langsamer Reflexe und einer Cholesterinablagerung im linken Auge, bester Gesundheit erfreute, begann das Gremium mit der Einschätzung seiner psychischen Gesundheit. Die Ärzte zeigten sich von der Intelligenz des Kollegen beeindruckt, die zweifellos sehr hoch war. Petiot konnte sich eines fundierten Wissens hinsichtlich der Psychologie und der forensischen Medizin rühmen und war auf dem Spezialgebiet der psychischen Erkrankungen äußerst belesen. Das Komitee konnte keine Zeichen mentaler Instabilität erkennen, bemerkte lediglich, dass er so wirke, als „fehle ihm jegliche Moral“. Für den anstehenden Prozess war das Untersuchungsergebnis immens wichtig, denn die Ärzte attestierten ihm vollkommene Zurechnungsfähigkeit.
Am 3. Mai 1945 reichte das militärische Expertenteam Yonnet und Brouard seine Schlussfolgerungen der insgesamt sechsmonatigen Ermittlung ein. Es war ein niederschmetternder Urteilsspruch:
Petiots Zögern, die Widersprüche, seine auffällige Unwissenheit über die Struktur des Résistance-Netzwerks, für das er angeblich arbeitete, die zahlreichen Unwahrscheinlichkeiten im Rahmen der Angaben, die systematische Angewohnheit, nur Résistance-Kameraden zu nennen, die entweder tot (Cumulo, Brossolette) oder nicht auffindbar sind (die Mitglieder von Fly-Tox), führen uns zu der Annahme, dass Petiot zu keinem Zeitpunkt einen ernsthaften Kontakt zu einer der Organisationen der Résistance unterhielt.
Im Fall der Übernahme der falschen Identität von Dr. François Wetterwald stellten sich Petiots Methoden als einfach und effektiv heraus. Am 11. September 1944 wurde er in der Wohnung der 68-jährigen Marthe Wetterwald vorstellig, deren Sohn im Konzentrationslager Mauthausen saß. Petiot gab sich als Repräsentant des Internationalen Roten Kreuzes aus, das Verhandlungen zur Freilassung immer noch in Deutschland festgehaltener französischer Gefangener führe. Er wolle ihrem Sohn helfen.
Um die Bemühungen voranzutreiben, bat er um seine Ausweispapiere oder sonstige beglaubigte Dokumente. Überglücklich gab Madame Wetterwald Petiots Bitte nach. Einige der Militärunterlagen des Sohnes waren nicht griffbereit, darunter auch sein Zahlbuch. Petiot bat die verzweifelte Frau, danach zu suchen. Zwei Tage darauf besuchte er die Dame erneut und stöberte in den Unterlagen. Als Madame Wetterwald den Raum verließ, ließ Petiot wichtige Dokumente in seinem Mantel verschwinden, die er später zur Erlangung von falschen Papieren einsetzte. Madame Wetterwalds Sohn musste im Konzentrationslager ausharren, bis die Alliierten es im Mai 1945 befreiten.
Der wahre François Wetterwald war nicht nur Arzt, sondern auch ein prominentes Mitglied der Résistance. Er leitete die Gruppe „Rache“, die Informationen sammelte, in Hinblick auf den D-Day deutsche Stellungen sabotierte und für weitere Angriffe verantwortlich zeichnete, darunter der Diebstahl deutscher Fahrzeuge und Uniformen, wobei Letztere oft in den Umkleidekabinen öffentlicher Schwimmbäder entwendet worden waren. Zu den zahlreichen Aktivitäten der Gruppe „Rache“ zählte ein Fluchthilfe-Netzwerk, das alliierten Soldaten beim Verlassen des besetzten Frankreichs half.
Die Identität von Wetterwald anzunehmen, stellte sich schnell als vorteilhaft heraus, denn nun eilte Petiot der Ruf eines mutigen Résistance-Kämpfers voraus, den er schamlos ausnutzte.
Kurz vor Ende der vorgerichtlichen Untersuchung setzten die Beamten drei weitere Opfer auf die offizielle Liste. Im Herbst 1945 erhielt das französische Justizministerium den Brief eines amerikanischen Juden namens Siegfried Lent, der in La Paz, Bolivien, lebte. Das Schriftstück war ursprünglich an die jüdische Hilfsorganisation American Joint Distribution Committee gegangen. In ihm erkundigte sich Lent über den Verbleib der Verwandten Kurt Kneller und seiner Frau Margareth (Greta) Lent Kneller sowie des Sohnes René, die während der Besatzung in Paris gelebt hatten. Man wusste, dass die Familie mit Hilfe eines Arztes zu fliehen versucht hatte, doch sie waren seit dem Sommer 1942 vermisst.
Kneller, ein 41-jähriger Elektriker, hatte zu der Zeit als Geschäftsführer von Cristal Radio gearbeitet, einer Firma,
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