Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Zischen von den oberen Rängen und Zwischenrufe störten den weiteren Gesprächsverlauf, sodass Leser mit dem Hammer kräftig auf den Resonanzblock klopfen musste. Doch die aufgebrachte Stimmung war nicht mehr einzudämmen. Um 18.30 Uhr wurde der Prozess unterbrochen.
„Warum?“, fragte Petiot. „Ich bin nicht im Geringsten müde.“
ICH HABE ALLES WIE EIN SPORTSMANN GENOMMEN.
(Marcel Petiot)
D er Petiot-Prozess sorgte für Schlagzeilen auf den meisten Titelblättern der Pariser Presse und entfachte eine leidenschaftliche Debatte. Die Meinungen über den Angeklagten fielen dabei aber nicht immer negativ aus. Petiot erreichten Körbe von Briefen, in denen ihm Menschen ihre Unterstützung zusicherten. Der Staatsanwalt war entsetzt über die „Fanpost“ und die – so bezeichnete er sie – „Hunderte von Heiratsanträgen“ von „neurotischen und aus der Bahn geworfenen Frauen“.
Am zweiten Prozesstag, der an einem schönen Frühlingsmorgen begann, drängelte sich eine noch größere Menge vor dem Justizpalast, um einen Platz, oder realistischer: einen Stehplatz, in dem heillos überfüllten Saal zu ergattern. Eine unbekannte Anzahl von Personen hatte sich mittels gefälschter Presseausweise Zugang zum Gericht verschafft. Straßenhändler verkauften jetzt nicht mehr nur Petiots Buch, sondern auch kleine gelbe Eintrittskarten für den Prozess, angeblich unterzeichnet vom Vorsitzenden Richter Leser höchstselbst! Nun zeigte sich vor dem und um den Justizpalast herum, dass die Pariser ihre Lehren aus der Zeit des florierenden Schwarzmarkts gezogen hatten.
Als Petiot zur Anklagebank schritt, fand er diese schon besetzt vor. Eine junge Frau in einem roten Kleid saß dort, offensichtlich überglücklich, noch einen freien Platz gefunden zu haben. Petiot, nicht mit seinem Charme geizend, gab ihr einen Handkuss und bestand darauf, dass sie sitzen bleibe, denn die Ehre als Gentleman gebiete ihm so ein Benehmen. Er sei wirklich gekränkt, wenn sie sich weigere. Das Publikum schmunzelte über den gewieften Schachzug.
Leser eröffnete das Verfahren, indem er zum zentralen Thema der Tätigkeit Petiots bei der Résistance zurückkehrte. Er fragte den Arzt, wie er denn Mitglieder für die angebliche Organisation Fly-Tox rekrutiert und wie genau das Netzwerk funktioniert habe. Petiot erklärte, dass er das Auktionshaus in der Rue Drouot als eine Art Zentrum genutzt habe – eine geschickte Antwort, da es genügend Zeugen gab, die seine regelmäßige Anwesenheit bezeugen konnten. Den Teil der Frage ignorierend, der sich auf die Auswahl der Mitglieder bezog, beschrieb Petiot mit Akribie die Methoden der, wie er es nannte, Liquidation oder Exekution.
„Es war sehr leicht. Ich habe die Personen wie folgt erkannt: Ich trat an sie heran und sprach sie mit ‚Deutsche Polizei‘ an. Durch ihre Reaktionen gaben sie alle wichtigen Informationen preis.“ Viele von den Verdächtigten hätten protestiert, sich als Zuträger der deutschen Polizei zu erkennen gegeben zu haben, und sich damit verraten. In dem Fall, fuhr Petiot fort, „haben wir sie auf einen LKW getrieben, der unter Aufsicht von Männern mit Maschinengewehren stand. Danach fuhren wir entweder in die Rue Le Sueur oder in den Wald. Nach einem Verhör, das unseren Verdacht bestätigte, schlachteten wir sie ab.“
„Und wie entledigten Sie sich der Leichen?“, wollte Dupin wissen.
„Wir vergruben sie. Das war am sichersten.“ Die Zuschauer, durch die Presseberichte über die Rue Le Sueur manipuliert, waren verblüfft. Weder ein Kellerofen noch eine Löschkalkgrube wurden erwähnt. „Sie gaben zu Protokoll, dass die Exekutionen in der Rue Le Sueur stattfanden“, meinte Dupin. „Nun erzählen Sie uns etwas von einem Lastkraftwagen.“
„Ja“, antwortete Petiot. Seine Fly-Tox-Männer hätten „Verräter“ im Wald exekutiert, doch falls sie aus irgendeinem Grund unter Druck gestanden hätten, seien sie erst in die Rue Le Sueur gefahren. „Das mag aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar erscheinen, Monsieur le Président. Uns fehlte aber [für diese tollkühnen Taten] weder der Mut noch die Nervenstärke.“
„Haben Sie sich an den Hinrichtungen aktiv beteiligt?“
„Nein.“
Von den oberen Plätzen des Gerichtssaals hörte man deutlich verblüfftes Keuchen.
„Sie haben das schon zugegeben.“
„Am Tage meiner Verhaftung wurde ich von einer Person verhört, die sich nun offenbar in Luft aufgelöst hat. Es war ein Capitaine des DGER. Ich war mit
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