Der Serienmörder von Paris (German Edition)
sprang auf und schrie den Zeugen an. Leser drängte Petiot, sich hinzusetzen und sich zu beherrschen. Eine hinter ihm stehende Wache wiederholte die Aufforderung und benutzte dabei das „Du“ statt des „Sie“.
„Ich verbiete dir, mich mit Du anzureden!“, brüllte Petiot die Wache an, die ganz verdutzt die Aufforderung wortgleich wiederholt hatte.
„Leck mich am Arsch!“, erzürnte sich Petiot.
Die Zuschauer tobten, woraufhin Leser wieder den Holzhammer schwang und alle zur Ruhe aufrief. Doch als Petiot Vallée eine Frage stellen wollte, erlaubte ihm Leser das Verlassen des Zeugenstands. Floriot lächelte. Der Protokollführer, darauf bedacht, die Verfahrensregeln einzuhalten, flüsterte Leser etwas ins Ohr, der unverzüglich einen Gerichtsdiener berief, um Vallée zurückzuholen. Wieder da, beantwortete er Petiots Frage, die sich als belanglos herausstellte.
Daraufhin hörte man weitere Zeugen des Braunberger-Haushalts, darunter das Dienstmädchen, die Köchin und eine Krankenschwester aus der Praxis des Arztes. Alle Zeugen identifizierten das Hemd und den Hut als Besitz des ehemaligen Arbeitgebers.
Nun bat Petiot, die beiden Beweisstücke zu sehen. „Es gab für mich keinerlei Grund, diesen alten Juden zu töten.“ Er habe ihn kaum gekannt und darüber hinaus habe Braunberger am Morgen seines Verschwindens offensichtlich weder Bargeld noch andere Wertgegenstände mit sich geführt. Laut dem Angeklagten habe es nichts zu holen gegeben. Bezüglich des Hemdes stritt Petiot die Behauptung der Staatsanwaltschaft ab, dass auf ihm die Initialen des Mannes zu finden seien. „Reden Sie mit mir ja nicht mehr über den Hut oder das Hemd“, meinte Petiot verärgert und warf die Gegenstände förmlich in Richtung des Protokollführers. Kurz darauf berichtete Floriot noch einiges zu den Kleidungsstücken.
Während der Pause wurde Petiot von Zuschauern belagert, die Ausgaben von Le Hasard vaincu in den Händen hielten und um ein Autogramm baten. Einige wollten sich sogar mit ihm fotografieren lassen. Petiot lächelte, witzelte und gab ein Autogramm nach dem anderen. Als ein Zuschauer ihm verriet, dass es sich um ein Geschenk handle, kritzelte Petiot auf die Titelseite: „Meine zutiefst empfundene Anteilnahme, für M. Leser.“
Als Nächstes rief man Zeugen für den Fall Kneller auf, darunter die Nachbarin Christiane Roart, die Freundin der Familie Klare Noé und den Patenonkel des jungen René, Michel Czobor, der dem Gericht vom Erhalt verschiedener Postkarten erzählte, die angeblich von den Knellers stammten. Sie hatten darin ihre Ankunft in Südamerika beschrieben und die Zurückgebliebenen bestärkt, ihnen zu folgen. Petiot versuchte die Zeugenaussage nicht substanziell zu widerlegen, da sie nicht der grundlegenden Aussage widersprach, dass er den Knellers zur Flucht aus dem besetzten Paris verholfen hatte.
Während dieses Prozessabschnitts konfrontierte Maître Dominique Stéfanaggi, Rechtsanwalt der Familie von Joseph Piereschi, Petiot erneut mit dem Vorwurf, Handlanger der Deutschen gewesen zu sein. „Warum hat die Gestapo Sie aus dem Gefängnis entlassen?“
Petiot war deutlich anzumerken, dass er das Thema nicht anschneiden wollte. „Um das anzudeuten, was Sie andeuten wollen, muss man wirklich ein Bastard sein.“ Er verlangte vom Rechtsanwalt, die Frage zurückzunehmen, und fügte hinzu, dass er schon bald von seinen Zellengenossen aus Fresnes hören werde. Daraufhin ereiferten sich die anderen Rechtsanwälte, was zu einem regelrechten Tumult führte. Sprach Petiot gegenüber einem Kollegen etwa eine Drohung aus? Viele Zuschauer hatten diesen Eindruck, doch möglicherweise bezog er sich auch nur auf einige Zeugen, die noch für die Verteidigung aussagen mussten? Während Leser verzweifelt versuchte, wieder Ruhe in das Verfahren zu bringen, erhob Maître Charles Henry, der Repräsentant der Familie von Paulette Grippay, seine von einem starken Marseille-Akzent geprägte Stimme und übertönte alle Kollegen. Für ihn war die wichtigste Frage nicht, ob Petiot für die Résistance gekämpft, sondern ob er der Gestapo gedient hatte.
„Ich? Ein Agent der Gestapo?“, regte sich Petiot auf. „Ich wurde von den Deutschen acht Monate lang gefangengehalten und gefoltert.“ Dann prahlte er damit, kein Sterbenswörtchen über seine Kameraden preisgegeben zu haben“, während die „Rechtsanwälte der angeblichen Opfer“ verzweifelt versucht hätten, ihn in letzter Minute zur Strecke zu bringen.
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