Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Uhr.
25 Minuten danach setzte Dupin erneut zum Plädoyer an und erinnerte das Gericht an die Reihe von Briefen und Postkarten, die von den Opfern nach ihrem Tod angeblich geschrieben worden seien. Bei jedem Fall ähnelte sich der Inhalt, und manchmal wurde eine fast identische Sprache verwendet. Auch die Wortwahl wiederholte sich, jedoch eher unregelmäßig. Jedes Mal unterzeichnete der Autor mit seinem oder ihrem vollständigen Namen, egal ob es sich nun um eine Nachricht an den Mann, die Frau oder einen geliebten Menschen handelte.
Dupin klassifizierte Petiots Opfer in drei Kategorien: Juden, die vor der Besatzungsmacht flüchten wollten, Verbrecher und ihre Geliebten sowie Patienten, die für seine Praxis eine Bedrohung darstellten. Die Menschen der letztgenannten Gruppe seien seiner Einschätzung nach ermordet worden, um sie an einer Zeugenaussage zu Petiots Aktivitäten zu hindern, die Verbrecher und ihre Geliebten seien wegen ihres Vermögens getötet worden. Falls eine Person zur Gestapo gehört habe, habe das Petiot zu dem Zeitpunkt nicht gewusst und erst später versucht, seinen Nutzen aus der Tatsache zu ziehen. Die erstgenannte Gruppe, also die Juden, als Gestapo-Agenten oder Kollaborateure zu verleumden, sei eine Schutzbehauptung und zugleich ein himmelschreiender Hohn auf die Geschichte. Petiot habe Juden ermordet und beraubt, die fliehen mussten, weil sie um das nackte Leben bangten.
Petiots Behauptung, man habe ihm die menschlichen Überreste „untergeschoben“, sei an Lächerlichkeit und Dreistigkeit nicht zu übertreffen. Der Zustand der Leichen in der Rue Le Sueur deute auf einen geübten und geschickten Pathologen hin. Die Muster der Zerstücklung glichen denen bei den zwischen Frühjahr 1942 und Januar 1943 aus der Seine geborgenen Leichenteilen. Petiot hatte 63 „Exekutionen“ oder, wie er es nannte, „Liquidierungen“ zugegeben. Dupin erinnerte die Geschworenen daran, dass diese Zahl sogar noch höher sein könne. Danach verlas er die Liste der 27 Menschen, die ermordet zu haben Petiot beschuldigt wurde.
„Nein, Petiot – wir werden Ihnen niemals mehr erlauben, das Wort ‚Résistance‘ zu beschmutzen“, erhob Dupin die Stimme. „Keine Täuschungen, Petiot. Die Stunde der Gerechtigkeit hat geschlagen.“
Nach Dupins letzten Worten stand Petiot auf und giftete: „Unterzeichnet, der Zuhälter des Vichy-Regimes.“ Daraufhin zeigte er eine Karikatur, die er vom Staatsanwalt während des Plädoyers gezeichnet hatte, was das Publikum mit schallendem Gelächter belohnte.
„Petiot, die Rolle des Richters steht Ihnen nicht zu!“, schrie Dupin.
„Dir auch nicht!“
Der Staatsanwalt war dafür bekannt, das Wort „Todesstrafe“ unter allen Umständen zu vermeiden und begnügte sich auch in diesem Prozess mit einer Umschreibung. Schon seit Tagen hatten sich Journalisten und Prozessberichterstatter an einem Ratespiel erfreut, welche Phrase Dupin diesmal wählen würde. Nach einer letzten Erinnerung, dass der Angeklagte nach den psychiatrischen Gutachten als schuldfähig eingestuft würde, schien ein Todesurteil eine „absolute Notwendigkeit“ darzustellen. Dupin war bereit: „Der Gerechtigkeit muss Genüge getan werden. Schon bald wird Petiot seinen Opfern wieder begegnen.“ Die Familien der Angehörigen empfanden den Satz als höchst unglücklich formuliert.
Um 15 Uhr gab Président Leser dem Verteidiger Floriot das Zeichen, mit dem Abschlussplädoyer zu beginnen. Wie üblich bei solch einem wichtigen Anlass hatte sich Floriot ein Gläschen Champagner zu Gemüte geführt, dem – und das war unüblich – später am Tag ein zweites folgen sollte. Der Verteidiger stieg sofort in das Thema ein, mit „der Freude eines Jagdhundes, der einen Feldhasen hetzt“, wie es Pierre Scize umschrieb, sicherlich kein schlechter Vergleich für einen leidenschaftlichen Jäger. Wie die meisten der vor ihm redenden Anwälte versprach Floriot sich kurz zu halten und sich auf die bekannten Fakten zu beschränken. Die „kurze“ Zusammenfassung füllte 339 mit Schreibmaschine verfasste Seiten und gehörte zu den Sternstunden des Prozesses.
Floriot griff die Staatsanwaltschaft bezüglich der Mordvorwürfe direkt an. Die Presse hätte die Fakten überzogen dargestellt und den Angeklagten als „ein Monster, einen Attentäter, einen Dieb und möglicherweise einen Sadisten“ verunglimpft. Die von der Besatzungsmacht kontrollierten Zeitungen hätten die Beweise für Petiots Verdienste um das
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