Der Serienmörder von Paris (German Edition)
sondern auf den Bruder. Maurice kam fast jede Woche geschäftlich nach Paris, reiste für gewöhnlich am Mittwoch an und wohnte in dem Hotel bis Samstag. Alicot behauptete, ihn seit dem letzten Monat nicht gesehen zu haben. An die letzte Begegnung erinnerte er sich aber genau, da sie ihm sonderbar vorkam.
Während des Aufenthalts vom 19. bis 22. Februar 1944 erschienen ein Lastkraftwagenfahrer und ein Arbeiter an der Rezeption seines Hotels, um eine Nachricht für Maurice abzugeben. Ihr LKW, der eine Lieferung für den jungen Petiot enthielt, hatte eine Panne an der Ecke Boulevard Saint-Michel und Boulevard Saint-Germain gehabt, woraufhin sich die beiden Männer gezwungen sahen, ihn stehen zu lassen. Alicot fand nicht die Nachricht an sich merkwürdig, obwohl er sich wunderte, warum zwei Männer in diesen Zeiten einen LKW voller Ware einfach im Stich ließen. Es war eher der verängstigte Ausdruck der beiden Männer, der ihm auffiel, und die Geschwindigkeit, mit der sie die Halle nach Überbringung der Botschaft wieder verließen.
DR. PETIOT WAR EIN SCHLAUER MANN.
(René Piédelièvre)
N ach der gründlichen Untersuchung eines schwarzen Satinkleides, aufgefunden im Keller der Rue Le Sueur, waren Massus Männer in der Lage, ein mögliches Opfer zu identifizieren. Die Ermittler hatten sich mit Silvy-Rosa, der Designerin aus Marseille, in Verbindung gesetzt, deren Anschrift auf dem Etikett stand. Sie trug den bürgerlichen Namen Sylvie Givaudan und erinnerte sich an das Kleid. Es war vor ungefähr dreieinhalb Jahren geschneidert und an eine Frau aus einem nahegelegenen Bordell verkauft worden, die Givaudan als jung und sehr schön beschrieb.
Die Polizei in Marseille konnte noch weitere Informationen zu der Frau liefern. Ihr bürgerlicher Name lautete Joséphine Aimée Grippay. Ein Zuhälter taufte sie „Paulette“, da er Joséphine als zu altmodisch empfand. „Der Name ist doch schon 100 Jahre alt“, hatte er ihr wiederholt eingetrichtert, „aber Männer wollen Namen, an die sie sich leicht erinnern können.“ Grippay durfte sich noch anderer Spitznamen erfreuen, darunter „La Chinoise“, aufgrund ihres langen schwarzen Haars, der hohen Wangenknochen und weiterer Gesichtszüge, die auf den Betrachter asiatisch wirkten. Ursprünglich stammte die Frau aus Korsika.
Sie wurde am 7. Januar 1917 im Hafenort Bonifacio (Bunifaziu) geboren. Ihre Mutter stammte von der Insel, der Vater war Bretone. Grippay begann ihre Laufbahn als Prostituierte in Ajaccio, bevor sie in Marseille in einem Nobelbordell in der Rue Venture arbeitete. Schon bald knüpfte sie Kontakte zu zwielichtigen Figuren der Unterwelt, darunter der bekannte Joseph Piereschi, auch bekannt unter den Namen „Joseph le Marseillais“, Dionisi oder Zé. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, hatte Piereschi schon mehrere Gefängnisstrafen verbüßt, meist wegen Bagatelldiebstählen, obwohl auch schon eine Anklage wegen Mordes gegen ihn erhoben worden war sowie eine Anklage wegen Teilnahme an einem Eisenbahnraub, bei dem die Diebe 983.000 Francs erbeuteten. Während der deutschen Besatzung leitete er ein Bordell für Nazi-Offiziere in der Gemeinde Aire-sur-la-Lys. Als man ihn des Betrugs deutscher Behörden beschuldigte, floh er zusammen mit Paulette Grippay. Langsam, aber sicher arbeiteten sie sich in Richtung Norden vor. Als die Polizei Grippays Kleid in Dr. Petiots Keller fand, hatte sie sich bereits etwas länger als ein Jahr in Paris aufgehalten. Wie hatte Petiot sie kennengelernt? War er einer ihrer Kunden oder sie eine seiner Patientinnen? Man muss bedenken, dass die Rue Caumartin mitten in einem lebhaften Bezirk voller Nachtclubs, Bars und Bordelle lag.
Nicht weit entfernt, versteckt in einem diskreten Gebäude mit geschlossenen weißen Fensterläden, lag das „122“. Namensgebend war die Adresse des Etablissements, das in der Rue de Provence 122 lag. Das siebenstöckige Bordell, das einst Napoleons Marschall Joachim Murat als Wohnhaus gedient hatte, bediente eine exklusive Klientel, darunter Personen königlichen Geblüts, Staatsmänner, Filmstars und schließlich auch wohlhabende Touristen. Das Gebäude zeichnete sich durch Themenzimmer aus. Neben einer Orient-Express-Suite und der luxuriösen Kabine eines Ozeanriesen begeisterte die Kunden das sogenannte Goldene Zimmer, das seinem Namen alle Ehre machte und an das berühmte Zusammentreffen von König Franz I. und König Heinrich VIII. im Jahr 1520 erinnerte. Das arktische Iglu zeichnete sich
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