Der Serienmörder von Paris (German Edition)
intensive, leidenschaftlich geführte und – wie nicht anders zu erwarten – kontroverse Wahlkampfkampagne ein. Er erzählte den Einwohnern, wie er durch die Kriegserfahrungen die „Menschen lieben lernte“ und dass diese Erlebnisse ihn dazu bewogen hätten, die Laufbahn eines Arztes anzustreben, um ihre Gesundheit zu verbessern. Seine Gegner versuchten ihn mit bissiger Rhetorik zu bekämpfen: „Trocknet Petiot im Sumpf seiner von ihm gebauten Kanalisation aus“, lautete ein Slogan auf einem Wahlkampfplakat.
Petiots übersprudelndes Selbstbewusstsein und seine unorthodoxen Strategien erwiesen sich als Vorteil. Zum Ende des Wahlkampfs hin gestattete er seinem Herausforderer Henri Guttin, als Letzter bei einer Veranstaltung im Rathaus zu reden. Zuerst aber hielt Petiot eine feurige Ansprache, bei der er seine vielen Errungenschaften und die Arbeit zugunsten der Armen herausstellte. Als Guttin sich ans Rednerpult stellte und die Notizen hervorholte, wurde es plötzlich stockfinster. Der Kandidat musste sich nun im Dunkeln durch die Zettel mühen, was einen recht unbeholfenen Kontrast zum dynamischen Petiot darstellte. Als Verursacher des Stromausfalls konnte später der Arzt selbst ausgemacht werden.
Schließlich aber wurde Petiot besiegt. Auf eine eventuelle Niederlage schon vorbereitet, hatte er bereits eine zweite Kampagne begonnen, diesmal mit dem Ziel der Wahl für die Nationalversammlung. Petiot gewann die Wahl und wurde mit 35 Jahren der jüngste Repräsentant von Yonne. Doch er sollte diese Position nicht lange bekleiden.
Erneut beschuldigte man Petiot des Diebstahls. Diesmal hatte er mit einer Apparatur aus Elektrokabeln, Steckern und kleinen Schaltern den Stromzähler in seinem Haus manipuliert und somit Diebstahl begangen. „Das ist doch eine offensichtliche Schmutzkampagne“, versuchte Petiot von den Anschuldigungen abzulenken und sie den politischen Gegnern anzulasten. Doch die Beweislage gegen ihn war mehr als erdrückend. Am 19. Juli 1933 sprach ihn das Gericht in Joigny schuldig und verurteilte ihn zu einer 15-tägigen Haftstrafe und zusätzlich zu einer Geldstrafe von 300 Francs zuzüglich einer einmaligen Zahlung von 200 Francs für den entstandenen Schaden. Er legte Berufung ein. Das Gericht setzte die Haftstrafe komplett aus und reduzierte die Geldstrafe auf 100 Francs, hielt jedoch die Verurteilung aufrecht.
Dieser Urteilsspruch – es war der erste, den man dem jungen Politiker „aufbrummte“ – führte zu einem zeitweisen Verlust seines Wahlrechts, was nach französischem Recht eine gesetzlich vorgeschriebene Amtsenthebung nach sich zog. Petiot kam dem beschämenden Schritt zuvor und trat von selbst zurück. Zumindest war nun die politische Karriere des „jungen Clemenceau“ beendet. Für Petiot begann ein neuer Lebensabschnitt.
Nach einem Bier in einer Brasserie am Place Dauphine und einem kurzen Anruf bei seiner Frau kehrte Massu ins Büro zurück und schickte einige Ermittler los, um Georgette Petiots Angaben zu überprüfen. Niemand hatte sie in der Rue de Reuilly 52 gesehen, doch das bedeutete nicht unbedingt einen Widerspruch zu der Aussage, da sie sich ja angeblich versteckt hatte und keiner der 21 Bewohner sie kannte. Auch der Concierge konnte sich nur schwach an sie erinnern.
Inspektor Hernis überprüfte das Hôtel Alicot in der Rue de Bercy 207, wo sie angeblich vor der Abfahrt nach Auxerre eine Mahlzeit eingenommen hatte. Henri Alicot, der Besitzer, bestätigte, dass Madame Petiot am Morgen des 13. sein Restaurant aufgesucht und einen verwirrten und erschöpften Eindruck gemacht habe. Darüber hinaus gab er zu Protokoll, dass sie den Tag über dort verbrachte, von den Neuigkeiten wie am Boden zerstört.
Wie sie sagte, war es schlichtweg unmöglich, dass ihr Mann, „der mich so gut behandelt“, die in den Zeitungen geschilderten Verbrechen begangen habe. Weiter meinte Georgette, dass sie Petiot in den 17 Ehejahren kein einziges Mal wütend erlebt habe. Sie hegte die Absicht, nach Auxerre zu reisen, um mit ihrem Sohn zusammen zu sein. Madame Petiot versuchte, in einem der Räume ein wenig Schlaf zu finden, was ihr auch gelang. Allerdings schlug sie das Essen aus, bis Alicot sie schließlich überzeugte, wenigstens vor der Abfahrt um 17.20 Uhr einen Teller Suppe zu sich zu nehmen. Eines war klar – Georgette Petiot hatte panische Angst vor einer Verhaftung.
Das wohl interessanteste Ergebnis der Befragung bezog sich allerdings nicht auf die Frau des Verdächtigen,
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