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Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Titel: Der Serienmörder von Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David King
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Résistance-Gruppen bedienten sich dieser Dienstleistungsbetriebe für ihre Geheimoperationen, die auf persönlichen Kontakten beruhten, auf Mund-zu-Mund-Propaganda und einem möglichst unauffälligen Kundenverkehr. Die Agenten Rose und Andrée Peel (geborene Virot) halfen in Brest über 100 abgeschossenen britischen und amerikanischen Piloten und waren eines der zahlreichen Beispiele für eine Résistance-Organisation, die von einem Schönheitssalon aus operierte.
    Auch Argentinien stellte keinen ungewöhnlichen Fluchtort dar, weil – und darauf muss man deutlich hinweisen – das südamerikanische Land auf eine lange Tradition der Aufnahme von Immigranten zurückblicken konnte. Durch die immense Pampa, eine fruchtbare und mit Gras bewachsene Hochebene, die sich in westlicher Richtung bis zu den Anden hin erstreckte und die gewinnträchtige Fleischindustrie ermöglichte, konnte sich Argentinien über einen zunehmenden Wohlstand freuen. Allerdings fehlten oft die notwendigen Arbeitskräfte zur maximalen Bewirtschaftung und Ausbeute der Ländereien. Seit der Jahrhundertwende hatte sich die Hauptstadt Buenos Aires um das Siebenfache vergrößert und war damit die drittgrößte der westlichen Hemisphäre, gleich nach New York und Chicago. Kosmopolitische Bewohner von Buenos Aires nannten sich selbst „Porteños“, also „Menschen des Hafens“.
    Die Fremden entgegengebrachte Gastfreundlichkeit stellte nicht nur einen Teil der argentinischen Geschichte dar, sondern war sogar in der Verfassung verankert. Artikel XXV besagte: „Die Regierung sollte es sich zur Aufgabe machen, die Immigration aus Europa zu fördern und zu unterstützen.“ Damit wurde dem Repräsentantenhaus eine besondere Verantwortung übertragen, und die Ankommenden hatten die Möglichkeit, schon nach zwei Jahren die Staatsbürgerschaft zu erlangen. Das Kolonisierungs- und Immigrantengesetz von 1876 versprach Einreisenden einen kostenlosen fünftägigen Aufenthalt in einer Regierungsunterbringung, Hilfe bei der Arbeitssuche und, falls nötig, die kostenlose Fahrt zu einer Arbeit im Hinterland. Die Regierung ging schließlich sogar so weit, den ersten 100 Personen jedes Konvois für die Besiedlung und Urbarmachung 100 Hektar Land zuzusprechen.
    Während der Weltwirtschaftskrise beschränkten die Politiker allerdings die Zuwanderung. Die Zunahme von illegalen argentinischen Ausweispapieren auf dem Schwarzmarkt des besetzten Paris war eine der unbeabsichtigten Konsequenzen der neuen Gesetze und Regulierungen. Im Juli 1938 verlangte die argentinische Regierung in einer vertraulichen Rundschrift, bekannt als Direktive 11, von ihren Botschaftern, „Visa abzulehnen, auch Touristen- oder Reisevisa, mit Blick auf alle Personen, die ihr Heimatland als Nichterwünschte bereits verlassen haben, verlassen wollen oder verstoßen wurden, egal, welche Motive zugrunde liegen“. Natürlich waren die sich der Verfolgung entziehen wollenden Juden die anvisierte Zielgruppe. Auf die erste Aufforderung folgten weitere Dekrete. Innerhalb eines Jahres halbierten sich die Einreisezahlen der Menschen jüdischen Glaubens. Später sanken sie sogar noch weiter. Der zukünftige Vizepräsident Vicente Solano Lima fasste die Haltung der Regierung so zusammen: „Wir wollen das Ghetto hier nicht haben!“
    Da sich die Einreise nach Argentinien dramatisch erschwerte, sahen die Bürokraten der argentinischen Botschaften in Europa eine Möglichkeit, vom Leid und der Not der Menschen eiskalt zu profitieren. Besonders die argentinische Botschaft in Mailand war berüchtigt für den Verkauf von Einreisedokumenten. „Wie teuer sind die argentinischen Visa heute“, zählte zu den oft gestellten Fragen außerhalb der Büroräume, wie sich Eugenia Lustig, die aus Italien stammende jüdische Ärztin, erinnerte. Die Botschaft in Hamburg verlangte von Juden ungefähr 5.000 Reichsmark. Miguel Alfredo Molina, ein argentinischer Konsul in Barcelona, konfiszierte Pässe italienischer Staatsbürger und verkaufte sie für 35.000 Peseten. Ganz in der Nähe von Petiot verdiente sich Miguel Ángel Cárcano, der argentinische Botschafter in Paris, eine goldene Nase. Vor seiner Rückberufung zu Beginn der Besatzung soll er angeblich eine Million Dollar mit dem Verkauf argentinischer Visa an Juden in die eigenen Taschen gewirtschaftet haben.
    Es war ein widerliches und schäbiges Geschäft und illustrierte auf schmerzliche Art und Weise die zwiespältige Moral des Zweiten Weltkriegs. Der Historiker und

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