Der Serienmörder von Paris (German Edition)
es sei ein Geschenk gewesen.
„Wollen Sie mir wirklich erzählen, dass Ihnen keine Zweifel über das Schicksal der Menschen kamen, die Sie an Petiot vermittelten?“, fragte Massu.
„Nein, überhaupt nicht“, entgegnete Fourrier und behauptete stets, an die Seriosität des Arztes geglaubt zu haben. Er hatte doch den Menschen den Weg in die Freiheit geebnet. Nach dem Verhör verspürte Massu das dringliche Bedürfnis, sich unverzüglich zu duschen.
Trotz der Skepsis von Massu konnte man Fourrier nicht eindeutig der Lüge bezichtigen. Geheime Fluchthilfeorganisationen waren in Paris keine Seltenheit, und einige davon wurden tatsächlich von Ärzten geleitet. Zu nennen wären zum Beispiel das Netzwerk Rache, gegründet von Dr. Victor Dupont vom Roten Kreuz und Dr. François Wetterwald, das zusammen mit Charles de Gaulles in London ansässigem Geheimdienst Bureau Central de Renseignement et d’Action (BCRA) abgeschossenen alliierten Piloten zur Flucht nach Spanien und Portugal verhalf. Ein anderer Arzt, der in Maine geborene Chefchirurg des amerikanischen Krankenhauses in Paris (Neuilly), versteckte alliierte Piloten als Patienten getarnt.
Viele der Résistance-Netzwerke arbeiteten eng mit den alliierten Geheimdiensten zusammen. Die Special Operations Executive (SOE) in Großbritannien wurde im Sommer 1940 nach der Kapitulation Frankreichs mit der berühmten Bemerkung Winston Churchills gegründet, „Europa in Brand zu setzen“. Abteilung DF konzentrierte sich auf die Fluchthilfe für abgeschossene alliierte Piloten und auf in feindlichem Gebiet feststeckende Agenten. Zum Zeitpunkt von Fourriers Verhör schmuggelte die Abteilung DF durchschnittlich jeden Tag einen Agenten aus dem Land. Der britische Geheimdienst Sektion 9 (MI 9), gegründet und geleitet von Norman Crockatt, verhalf britischen Soldaten zur Flucht aus Gefangenenlagern. Die bemerkenswerte Abteilung wurde später von vergleichbaren amerikanischen Geheimdiensten unterstützt, wie etwa der American Escape and Evasion Section MIS-X des Military Intelligence Department und einer Organisation namens P/W & X.
Die alliierten Organisationen und die Gruppen der französischen Résistance leisteten wichtige Beiträge zum Kriegsverlauf. Sie retteten nicht nur Menschen vor bestialischer Folter und schützten somit alliierte Geheimnisse, sondern verhalfen erfahrenen Soldaten zu neuerlichen Kampfeinsätzen im Krieg gegen das Dritte Reich.
Doch nicht alle Fluchthilfeorganisationen konzentrierten sich auf Angehörige des Militärs. Einige waren dafür bekannt, speziell auch fluchtwilligen Juden zu helfen. Zwischen Petiots Verhaftung im Mai 1943 und dem Ende der Okkupation verhalf die zionistische (jüdische) Armee mindestens 313 Juden, die Pyrenäen nach Andorra zu überqueren und nach Barcelona zu gelangen. 272 setzten die Reise nach Palästina fort. Andere Organisationen hatten sich noch weiter spezialisiert, wie zum Beispiel die Éclaireurs israélites de France (EIF, die Jüdischen Scouts Frankreichs) und die Oeuvre de secours aux Enfants (eine jüdische Wohlfahrtsorganisation für Minderjährige), die beide Jugendliche und Kinder vor den Nazis retteten.
Praktisch jedes Detail, das Fourrier über Petiots angeblichen Fluchthelferring verriet, stimmte mit den Charakteristika solcher Netzwerke überein. Zwei der am häufigsten genutzten Wege führten entweder durch Marseille oder über die unwegsamen und zerklüfteten Pyrenäen. Schmuggler hatten schon lange die schmalen und steilen Hirtenpfade benutzt, ebenso wie auch Flüchtige, die sich des Zugriffs durch das Franco-Regime am Ende des Spanischen Bürgerkriegs entzogen. Die Beschlagnahme der unbesetzten Zone Frankreichs im November 1942 durch die Deutschen zwang die verzweifelten Menschen dann, schwierigere und höher gelegene Wege zu nutzen, wo sie der Gefahr von plötzlich auftauchenden Nebeln, heftigen Stürmen und dem Risiko von Lawinen und Schneestürmen bis in den Mai hinein ausgesetzt waren. Und dabei durfte man auch nicht die deutlich häufigeren Grenzpatrouillen mit abgerichteten Hunden vergessen.
Petiot betonte gegenüber Fourrier die Bedeutung von möglichst kleinen Gruppen, die losgeschickt wurden, maximal zwei oder drei Personen. Das Gebäude in der Rue Le Sueur Nummer 21 eignete sich durch den nicht einsehbaren Hof viel besser zum Schutz der Flüchtigen als die Dachspeicher, die Keller, die Kirchen und weitere geheime Häuser der Résistance. Was einen Friseursalon anbelangte – viele
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