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Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Der Serienmörder von Paris (German Edition)

Titel: Der Serienmörder von Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David King
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Enkel des im Krieg berufenen Konsuls Uki Goñi warf die Frage auf, was schlimmer zu bewerten sei: Visa zu verkaufen, und damit verfolgten Juden zur Flucht vor der Nazi-Tyrannei zu verhelfen, oder sich „korrekt“ zu verhalten, was zur Folge hatte, dass keine Reisedokumente ausgestellt wurden.
    Wenn Petiot auf Kontakte zur argentinischen Botschaft anspielte, die seine Organisation pflegte, klang das also überhaupt nicht unsinnig. Allerdings bedeutete das noch lange nicht, dass dem Arzt tatsächlich Dokumente zur Verfügung standen, oder – im Fall er besaß sie – diese eine reibungslose Einreise ermöglichten. Zu dem Zeitpunkt verloren die Papiere, sowohl echte als auch gefälschte, nämlich ihren Wert. Die argentinischen Behörden erwehrten sich legaler und illegaler Einreisen, sogar noch vor dem Militärputsch vom 4. Juni 1943, durch den eine Flucht in das Land dann kaum mehr möglich war.
    Edmond Pintard, der 56-jährige, große, meist schwatzhafte, extrovertierte Visagist und ehemalige Kabarett-Künstler, betrat Massus Büro am 20. März 1944. Noch Jahre danach erinnerte sich der Kommissar an den ungünstigen Verhörbeginn und die Arroganz des Zeugen.
    „Monsieur Kommissar“, eröffnete Pintard das Gespräch mit einem zur Schau gestellten übersteigerten Selbstbewusstsein, „wissen Sie überhaupt, wer ich bin?“
    „Ja. Edmond Pintard, der Visagist und Maskenbildner, dem im Moment eine Anklage wegen Komplizenschaft bei … Straftaten bevorsteht.“
    „Ich, Komplize eines Verbrechens? Ich, der Große Francinet? Ja, das meine ich auch – der Große Francinet, bekannt bei allen Direktoren der Pariser Varietés, spezialisiert auf Gesangsdarbietungen bei Hochzeiten und Banketten. Mein Name, Monsieur Kommissar, stand auf allen Litfasssäulen – und zwar in der Größe.“ Dabei streckte er die Arme weit aus, wobei Massu die Nikotin-gelben Finger erkannte. „Und wenn ich mir mein Brot nun als Visagist verdiene, hat das nur den Grund, dass ich auf der Höhe des Erfolgs die Karriere an den Nagel hängte.“
    „Wie viel hat man Ihnen als Anwerber von Dr. Petiot gezahlt?“
    „Sie wagen es …“
    „Ich wage Einiges. Wenn Sie mir noch weiter aus Ihrem Leben berichten, werde ich fuchsteufelswild. Wir sind hier nicht im Theater!“ Massu deutete auf die auf dem Tisch liegenden Akten und wies auf die Details hin. „Die unschuldigen Männer und Frauen, um die sich Ihr Freund Petiot so sorgsam gekümmert hat, wurden ermordet. Ermordet und vielleicht auch gequält, bevor man sie zerstückelte und in eine Löschkalkgrube warf. Haben Sie schon mal brennendes menschliches Fleisch gerochen?“
    Schweigen. „Ich fragte Sie, wie viel Petiot Ihnen gezahlt hat“, fuhr Massu fort. „Ich glaube nicht, bis jetzt eine Antwort gehört zu haben.“
    Letztendlich gab Pintard dann nur eine zweimalige Zahlung zu, und zwar in Höhe von 6.000 und 12.500 Francs – und das trotz der Tatsache, dass er ungefähr zweieinhalb Jahre für die Organisation tätig gewesen sei! Fourrier hätte ihn von seiner Kommission entlohnt. Pintard traf Petiot nur ein oder zwei Mal und ließ die Geschäfte über seinen Freund Fourrier laufen, den er seit fast 20 Jahren kannte. Pintard stritt – genau wie der Friseur – jegliche Kenntnisse über das Stadthaus in der Rue Le Sueur ab. Er habe davon angeblich erst aus den Zeitungen erfahren.
    „Haben Sie auch in Bars angeworben?“
    „Ja, manchmal.“
    „Und wo sonst noch?“
    „Das hat sich in der Nachbarschaft rumgesprochen. Die Leuten traten an mich heran.“
    Auf die Frage, was Petiot den Klienten exakt versprochen habe, antwortete Pintard: eine sichere Überfahrt nach Südamerika und offizielle Papiere, die sie als Handlungsreisende einer dortigen Republik auswiesen. Ebenso wie Fourrier glaubte Pintard, dass Dr. Eugène ein Held war, ein Patriot und ein „leidenschaftlicher Kämpfer im Dienste der Résistance“. Zu seiner eigenen Verantwortlichkeit befragt, wich er aus. Er habe daran geglaubt, seine „Pflicht zu erfüllen, indem ich Franzosen die Flucht vor dem Feind ermöglichte“.
    Nach dem Verhör blieb Pintard an der Tür zum Flur stehen. Massu fragte, ob er noch etwas sagen wolle.
    „Monsieur Kommissar, wären Sie bitte so nett, mich vor den Fotografen zu beschützen? Mich kennt doch jeder … ich schäme mich.“
    „Mir sind die Hände gebunden. Die machen nur ihren Job.“
    Pintard öffnete die Tür und trat einem gleißend grellen Blitzlichtgewitter entgegen.

EINE WELT, IN DER

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