Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Unterwelt noch mehr gefürchtet wurde als die Folter durch die Gestapo!
Nach Aussage von Fourrier arrangierte Edmond Pintard ein Treffen von Jo mit Marcel Petiot im Café Mollard nahe des Bahnhofs Saint-Lazare. Die beiden entwarfen bei einigen Gläsern Brandy Pläne zu Jos Flucht aus Paris. Entgegen der Vereinbarung war Jo jedoch nicht alleine gekommen, sondern hatte François Albertini, genannt „François, der Korse“ mitgebracht, einen 34-jähriger Zuhälter aus Vescovato, Korsika, mit einer großen Narbe im Gesicht. Die beiden traten in Begleitung von zwei Frauen auf, beide Prostituierte, aber auch Geliebte: die „dunkelhaarige und elegante“ Lucienne oder Claudia Chamoux (Lola, Lili oder Lulu) war die ältere, bei der jüngeren handelte es sich um die erst 21-jährige Annette Basset („Annette Petite“, „La Poute“ oder „die kleine Bettwanze“), die aus Lyon stammte.
Petiot, den die Kunden als „Dr. Eugène“ kannten, weigerte sich, vier Personen gleichzeitig bei der Flucht zu helfen. Diese Herausforderung war ihm zu „schwierig, eventuell sogar unmöglich“. Petiot machte den Vorschlag, dass sich die Gruppe aufteilen solle. Der Doktor kam Jo verdächtig vor, allein schon durch den Ausdruck seiner Augen, die, wie er es einem Freund erzählte, „einem kalte Schauer den Rücken runterlaufen ließen“. François machte sich dann als Erster auf den Weg, begleitet von Jos Freundin Claudia. Durch den „Frauentausch“ wollten die Männer sich gegenseitig garantieren, dem Versprechen nach am Ankunftsort wieder zusammenzutreffen. Fourrier konnte sich nicht an den exakten Zeitpunkt der Flucht erinnern, glaubte jedoch, dass Jo und Annette das Land wahrscheinlich im Oktober 1942 verließen.
Als der Termin der Abreise näherrückte, plagten Jo immer noch Zweifel. Pintard hatte versucht, ihn übers Ohr zu hauen, was zutraf, denn er verdoppelte die vereinbarte Summe willkürlich, in der Hoffnung, sich die Differenz in die eigene Tasche stecken zu können. Petiot hörte von dem krummen Geschäft und explodierte förmlich, wobei er darauf hinwies, dass es sich um eine patriotische Organisation handle und nicht um eine kommerziell ausgerichtete. Der Arzt drohte damit, die Verbindung zu Pintard abzubrechen. Doch auch dieser Wutausbruch, eigentlich ein Zeichen der Glaubwürdigkeit Petiots, räumte die nagenden Zweifel Jos nicht aus der Welt. Als dann die Nachricht von François’ und Lulus Ankunft in Südamerika erst mit großer Verzögerung eintraf, wurde der Gangster noch unruhiger und misstrauischer.
In jenem Herbst (weder Fourrier noch Pintard konnten sich an den genauen Zeitpunkt erinnern) präsentierte Petiot ihnen eine Ansichtskarte oder einen Brief, angeblich von François geschrieben, der die Ankunft in Argentinien dokumentierte. Pintard brachte dem zögerlichen Kunden das Schriftstück, der daraufhin der Flucht zustimmte. Jo kam wie versprochen zum Café Mollard, und zwar nicht mit einer, sondern mit zwei Frauen, nämlich Annette und einer weiteren Hure, an deren Namen sich Fourrier nicht erinnerte. Gerüchten zufolge arbeitete sie unter dem „Künstlernamen“ Yoyo oder Yvonne. Sie wurde niemals identifiziert.
Obwohl sich Petiot sträubte, mehr als ein oder zwei Personen zur selben Zeit bei der Flucht zu helfen, stimmte er diesmal zu. Wahrscheinlich lag der Grund für den Sinneswandel in der Tatsache begründet, dass Jo, der mittlerweile ein beträchtliches Wissen über die Organisation erlangt hatte, auf gar keinen Fall mehr in Kontakt zur Öffentlichkeit treten durfte. Das Risiko, dass der Fluchthelferring aufflog, war viel zu groß. Möglicherweise lockte ihn aber auch das kleine Vermögen, welches Jo mit sich führte. Es belief sich auf geschätzte 1,4 Millionen Francs, ein Teil davon eingenäht in die Schulterpolster des Anzugs. Hinzu kam noch ein wahres Arsenal von Wertgegenständen, darunter Siegelringe, eine Golduhr und Gold, das er im Absatz eines Schuhs versteckte. Annette trug zudem einige Juwelen bei sich, wie zum Beispiel einen großen Smaragdring, besetzt mit Diamanten. Vermutungen zufolge wollten die drei in der neuen Welt ein Bordell eröffnen.
Von seinem Fenster aus beobachtete Fourrier die drei beim Verlassen von Paris. Sie entfernten sich in Richtung der Rue Tronchet. Er sah weder Jo, Annette, „Mademoiselle X“ oder François noch einen der Gangster mit seiner Geliebten jemals wieder. Wochen nach der Flucht erkannte Pintard Jos Golduhr an Petiots Handgelenk, der meinte,
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