Der Serienmörder von Paris (German Edition)
neuen Dienststelle zur Beschaffung verschiedenster Güter, landläufig „Agentur Otto“ genannt, nach Hermann „Otto“ Brandl von der Abwehr, der beim Aufbau derselben half. Durch die Agentur und die diversen Unterabteilungen wurden Waren in kaum vorstellbaren Mengen beschafft, wobei man das Geld einsetzte, das von Frankreich laut Waffenstillstandsvertrag entrichtet werden musste. Die französischen Handlanger des Dritten Reichs erledigten also den Einkauf und verscherbelten die Güter danach an die Deutschen, wobei sich die Agenturleiter immens bereicherten. Lafonts an der Rue Tiquetonne gelegenes Büro war zuerst nur für Nahrungsmittel und später auch für Kleidung, Mobiliar und Objekte aus Gold verantwortlich.
Innerhalb von nur zwei Wochen realisierte Lafont die Eröffnung einer Filiale in der Rue Cadet, und zwar in der beschlagnahmten Zentrale der Freimaurer. Hier konzentrierte man sich ausschließlich auf die Besitztümer von Juden. Danach richtete er weitere Büros ein, darunter ein sehr großes an der Rue du Faubourg Saint-Antoine, das für die Beschaffung von Getreide, Butter und Vieh aus der Normandie verantwortlich zeichnete. Darüber hinaus knüpfte Lafont – wie auch andere Geschäftsführer der Agenturen – Kontakte zu Bankiers, Rechtsanwälten, Kunstexperten und sogar Schwarzmarkthändlern. Als Lafonts Stern über Paris aufging, erwiesen sich viele dieser Personen als äußerst hilfsbereit.
Im Sommer dieses Jahres nahm der schillernde Mann dann eine wichtige Hürde, die ihm großes Ansehen bei den Deutschen einbrachte. Es gelang ihm, eine Zelle der Résistance zu infiltrieren, die die Abwehr sechs Monate lang an der Nase herumgeführt hatte.
Mit Hilfe seiner Kontakte aus der Unterwelt spürte Lafont den Anführer, einen Belgier namens Lambrecht, innerhalb nur weniger Tage in Bordeaux auf. Dann wandte er seine bewährten Unterwelt-Methoden an – darunter seine Spezialität, die darin bestand, einem Mann aus heiterem Himmel mit der Peitsche ins Gesicht zu schlagen und dessen schmerzverzerrte Stimme mit einem wiederholten „Du wirst reden“ zu übertönen. So erfuhr er die Namen sämtlicher Mitglieder der Organisation. Daraufhin verhafteten die Deutschen 600 Résistance-Kämpfer in Paris, aber auch in Brüssel, Amsterdam, Berlin und andernorts.
Friedrich Rudolph, der Leiter der Abwehr in Frankreich, ein altmodischer Preuße und Veteran aus dem Ersten Weltkrieg, war von dem neuen „Mitarbeiter“ beeindruckt, obwohl ihn die brutalen Methoden Lafonts abstießen. Er entschied sich, den Gehilfen weiter zu beschäftigen, doch nur „unter der Bedingung, dass er ihm nie begegnen müsse“. Die Zentrale der Abwehr in Berlin schickte unverzüglich ein Glückwunschtelegramm nach Paris, wo Lafonts neuer Vorgesetzter zu seinen Ehren eine Feier gab, die ihren Höhepunkt in einem Besuch des Bordells „122“ fand.
Lafont hatte der Abwehr schon oft seinen Nutzen unter Beweis gestellt. Im August 1940 gestattete man es ihm dann – mit Zustimmung des hochrangigen Abwehr-Offiziers Wilhelm Radecke –, das Gefängnis in Fresnes aufzusuchen, um dort Kriminelle zur Vergrößerung der Bande auszuwählen. Alexander Villaplane, der Kapitän der französischen Nationalelf, die mit dem 4:1-Sieg gegen Mexiko den ersten Weltmeisterschaftstitel für das Land errungen hatte, war der erste von insgesamt 27 Männern. Während der Weltwirtschaftskrise musste dieser sich mit gravierenden finanziellen Problemen herumschlagen, die ihn zur Manipulation von Pferderennen genötigt hatten. Ein „weiterer“ Mann, der ihm aufgrund seiner „Qualifikation“ ins Auge fiel, war „Adrien, der Baske“, dessen Sulka-Seidenhemden ihn nun identifizieren halfen.
Der ehemalige Polizeibeamte Pierre Bonny, einst als talentiertester Ermittler des Landes gerühmt – was natürlich eine maßlose Übertreibung darstellte –, war das berühmteste Mitglied der Räuberbande. 1935, ein Jahr, nachdem er bei der Aufklärung des berüchtigten Stavisky-Falls geholfen hatte, eines Finanzskandals, der die Republik an den Abgrund des Ruins führte, endete seine Karriere wegen eines Korruptionsverfahrens. Man verurteilte ihn zu einer dreijährigen Haftstrafe. Nach der Entlassung kratzte er sich den Lebensunterhalt mit einer neugegründeten Privatdetektei zusammen und beschattete vornehmlich untreue Ehepartner. Dank des kleinen, aber drahtigen Mannes mit dem dunklen Bart, der 1942 zu Lafont stieß, dominierten plötzlich Härte, Akribie und, nicht
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