Der Serienmörder von Paris (German Edition)
zu vergessen, organisatorisches Talent die Geschicke der Bande.
Zu dem Zeitpunkt erlangte Lafont die deutsche Staatsbürgerschaft und trat der SS bei, womit sich seine Verpflichtungen von der Abwehr zu den „neuen Herren“ hin verschoben. Doch deshalb stellte er das „Tagesgeschäft“ nicht ein und sammelte weiterhin Beweise gegen „undeutsche“ Umtriebe, ging Denunziationen nach, spürte verborgenes Gold und Währungsreserven auf und infiltrierte Gruppen der Résistance. Als die Luftangriffe der Alliierten 1943 dramatisch zunahmen, jagte er abgeschossene Piloten und Fallschirmspringer und suchte Waffenlager. Es gibt weder bestätigte Hinweise zur Zahl der Männer, die Lafonts Bande folterte und umbrachte, noch zu dem Gewinn, den sie mit ihrem blutigen Geschäft machten. Doch eines war sicher – seine Macht und sein Einfluss überstiegen alles Vorstellbare.
Im Mai 1941 zogen Lafonts Männer vom alten Hauptquartier in der Avenue Pierre-ler-de-Serbie in die Rue Lauriston 93 um. Bei den legendären und überaus beliebten Samstagsabendessen trafen sich Würdenträger der Nazis, SS-Männer, Industrielle, Pressemogule, Künstler, Filmstars sowie Männer und Frauen der obersten Gesellschaftsschicht, die sich die feinsten und erlesensten Delikatessen schmecken ließen, die es in Paris gab. Zur selben Zeit wurden in den Kellern des Hauses Résistance-Kämpfer und Feinde des Dritten Reichs gefoltert und bis aufs Blut gequält.
Es gab viele kritische Fragen, die Massu Lafont am liebsten gestellt hätte. Zum Beispiel: Stimmten Emile Estébétéguys Behauptungen? Hatte sich Lafont wirklich dafür entschieden, „Adrien, den Basken“, dessen Bruder, auf eine ganz besonders heimtückische Art und Weise zu bestrafen, indem er ihn zu Marcel Petiot schickte, wohlwissend, dass es sich bei dessen „Fluchthilfeorganisation“ tatsächlich um eine Todesfabrik handelte? Traf das zu, und wenn ja, gab es eine Verbindung zwischen Lafont und Petiot?
Doch zu dieser Zeit zählte Lafont mit der deutschen Polizeinummer 10 474R zu den unantastbaren Personen …
Ein anonymer und vielversprechender Brief vom März 1944 brachte Massu und seine Männer auf eine neue Spur zu möglichen Opfern Petiots. In dem Schriftstück berichtete der unbekannte Absender von einer Familie jüdischer Flüchtlinge aus den Niederlanden, die im September 1942 in Paris angekommen waren und nur wenige Monate darauf die Stadt mit Hilfe eines Arztes zu verlassen versuchten, der ihnen eine Überfahrt nach Südamerika versprach.
Allerdings fanden sich – wie Massu feststellen musste – in dem Brief keinerlei neue Informationen. Die angeblichen Tatsachen konnten auch aufgrund der den Zeitungen zu entnehmenden Angaben frei erfunden sein. Allerdings machten die Details einen authentischen Eindruck. Der Arzt hatte auf allerhöchste Vorsicht und Wachsamkeit gepocht: Die Fluchtwilligen durften sich mit niemandem über die Organisation unterhalten, erst in letzter Minute erhielten sie in einem Telefonat die Einzelheiten über den Treffpunkt mitgeteilt und – was wohl am wichtigsten war – die Instruktion, alle persönlichen Wertgegenstände in zwei Koffern mitzubringen.
Der Autor benannte die möglichen Opfer nur mit Alter und unvollständigen Namen: Madame W (ungefähr 63 Jahre alt), ihr Sohn Maurice W (ca. 36 Jahre) und seine Frau L. W. (Alter ungefähr 46 Jahre). Der Kommissar wollte die Spur weiterverfolgen und ließ die Informationen in den Zeitungen veröffentlichen, verbunden mit der Bitte, dass ihn jeder kontaktieren solle, der von dem Brief wisse. Er versicherte dem Absender, seine Identität zu schützen.
Wenige Tage später erschien eine Frau in seinem Büro und behauptete, den Brief geschrieben zu haben. Aufgrund ihres Wissens über den Inhalt, den Massu geheim gehalten hatte, war er überzeugt, die richtige Person, eine gewisse Ilse Gang, vor sich zu sehen. Nun lieferte sie der Polizei nähere Einzelheiten zur vermissten Familie. „Madame W“ war Rachel Wolff (geborene Rachel Marx), die 63-jährige Witwe von Salomon oder Sally Wolff, ehemalige Besitzer der Holzfabrik Incona C. V. Bei ihrem Sohn „Maurice W“ handelte es sich um den 36-jährigen Moses Maurice Israel Wolff und bei „L. W.“ um seine Frau Lina Braun Wolff, eine 47-jährige geschiedene Frau aus Breslau mit einem Sohn aus erster Ehe, der in Tel Aviv lebte. Lina war eine der ältesten Freundinnen von Gang. Die ursprünglich in Königsberg lebende Familie Wolff war bei der
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