Der Sichelmoerder von Zons
sie konnte nach oben. Da war es! Ein winziger schwarzer Balken erschien in ihrem Display. Ohne ihre Haltung zu verändern, drückte sie auf die Kurzwahltaste, hinter der sich Olivers Nummer verbarg.
...
Unruhig rutschte Dietrich Hellenbruch auf seinem Stuhl herum. Was wollten diese Polizisten ständig von ihm? Hatten sie denn nichts Besseres zu tun, als fortwährend in seinem Leben herumzupfuschen? Er erinnerte sich ganz genau an seinen letzten Aufenthalt im Neusser Polizeirevier. Sie hatten ihm sein Porträt von Marie weggenommen. Es handelte sich dabei um ein kleines Original-Ölgemälde von Bastian Mühlenberg und seiner Frau aus dem 15. Jahrhundert. Sie konfiszierten es einfach und Dietrich erhielt das Gemälde nur mit allergrößter Mühe wieder zurück. Marie war die schönste Frau, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Fast schon erlag er dem Irrtum, dass so wundervolle Frauen nur in der Vergangenheit existierten. Heutzutage hatten die meisten von ihnen hässliche Kurzhaarschnitte und die paar, die ihre Haare lang trugen, ließen sie unzüchtig und offen vom Haupt herabhängen. Marie hingegen besaß wunderbar ordentlich geflochtenes Haar. So, wie es sich für ein anständiges Mädchen gehörte!
Jetzt saß er wieder in diesem scheußlichen Polizeirevier und diesmal machten sie Theater, weil er das lebende Ebenbild von Marie entdeckt hatte. Das ging sie doch gar nichts an! Außerdem war er ihr nur ein einziges Mal bis zu ihrer Wohnung gefolgt.
„Herr Hellenbruch. Noch einmal für Sie zum Verständnis. Stalking ist strafbar. Frau Sandra Schwanengel hat Anzeige gegen sie erstattet. Also hören Sie gefälligst auf, die junge Frau zu verfolgen!“
Kommissar Oliver betrachtete den alten Archivar nachdenklich. Was für ein komischer Kauz! Vor knapp einer Woche hatten sie die Anzeige von Sandra Schwanengel, einer jungen Studentin - die nebenher Geld mit einem Job bei McDonalds verdiente - aufgenommen und den polizeibekannten Archivar direkt ins Revier geladen. Durch ein zufälliges Gespräch mit einem Kollegen erfuhr Oliver von dieser Stalking Geschichte. Der Kerl verfügte über brillantes Wissen, was historische Ereignisse in und um Zons anging, aber er war Oliver suspekt. Schon bei den Ermittlungen zum Puzzlemörder vor etlichen Monaten war er kurzfristig auf der Liste der Verdächtigen gelandet und jetzt saß er hier vor ihm und seinem Partner Klaus in einem knallroten Pullover. So rot wie der von Frederick Köppe. Warum tauchte dieser Hellenbruch ständig im Zusammenhang mit ihren Ermittlungen auf? So viele Zufälle auf einmal konnte es doch nicht geben! Er schielte kurz zu Klaus hinüber. Dieser zwinkerte ihm zu. Er hat es auch gesehen, dachte Oliver. Am liebsten hätte er die knallrote Farbe von Hellenbruchs Pullover einfach ignoriert, stattdessen sagte er:
„Für heute sollte es reichen Herr Hellenbruch. Sie sind gewarnt. Wenn Sie Frau Schwanengel noch einmal belästigen, wird sie ihre Anzeige nicht zurückziehen. Das kann gravierende Folgen für Sie haben.“
Der Archivar nickte verdrießlich und erhob sich schließlich von seinem Stuhl. Beim Hinausgehen rempelte Oliver ihn absichtlich an und riss unauffällig ein paar Fasern aus seinem roten Pullover heraus. Sicher ist sicher, dachte er. Er würde die Probe sofort ins Labor geben und mit den Faserspuren abgleichen, welche sie an dem aufgeschnittenen Zaun des Materialfriedhofs im Chemiepark gefunden hatten.
...
Kurze Zeit später stand Oliver wieder in seinem Büro und starrte auf das Whiteboard. Fünf rot markierte Namen standen in Großbuchstaben darauf:
Peter Hirschauer, Status: vermisst; Knochenfund 5A.2 zugeordnet
Dorothea Walser, Status: ermordet; Knochenfund negativ
Jimmy Henders, Status: vermisst; Knochenfund negativ
Jörg Plaggenwald, Status: vermisst; Knochenfund 8A.3 zugeordnet
Kerstin Hohenstein, Status: vermisst; Knochenfund 7B.1 zugeordnet
Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und blätterte nochmals die Akten der Vermissten durch. Drei der Bankangestellten waren im Juni verschwunden. Zuerst wurde Kerstin Hohenstein als vermisst gemeldet. Oliver überflog die Vermisstenanzeige. Zuletzt wurde Kerstin Hohenstein auf einer Kundenveranstaltung in Neuss gesehen. Veranstaltungsort war das Hotel „Swissôtel“.
Eine Alarmglocke schrillte in Olivers Kopf. Swissôtel . War dort nicht auch Jimmy Henders, der Kollege von Anna, zuletzt gesehen worden? Oliver versuchte sich an Emilys Beschreibung
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