Der Sichelmoerder von Zons
Luft zum Atmen, doch er verhielt sich ruhig. Seit Stunden versuchte er aus diesem Teufel herauszubekommen, wo die Leiche seines Bruders versteckt war, doch Ignatius war zäh wie Leder. Vielleicht hatte Pfarrer Johannes eine bessere Idee, die Wahrheit aus ihm hervorzubringen. Schließlich war er sein leiblicher Bruder, auch wenn Bastian bei dieser Vorstellung schwindlig im Kopf wurde. Gerade als die Stille schier unerbittlich wurde, stieß Pfarrer Johannes mit einem - für ihn völlig untypischen - wütenden Zischen zwischen seinen Zähnen hervor:
„Bringt ihn in die Folterkammer. Wir werden sehen, ob siedendes Öl seiner Zunge mehr Worte entlocken kann!“
Mit puterrotem Gesicht wand sich Pfarrer Johannes von dem Gefesselten ab und verließ schnellen Schrittes die Gefängniskammer. Am Türrahmen blieb er stehen und drehte sich noch einmal um.
„Ihr habt bis morgen Zeit! Gesteht freiwillig oder gart in der kochenden Hölle aus heißem Öl!“ Er zupfte Bastian am Arm und zog ihn mit sich aus der Kammer hinaus. Mit einem dumpfen Knall legte er den schweren eisernen Riegel vor die dicke Holztür.
„Er ist im Grunde seines Herzens ein Feigling, Bastian. Zumindest war er das als kleiner Junge und ich glaube nicht, dass sich dieser Wesenszug verändert hat.“
„Er hat mindestens vier Menschen auf dem Gewissen, denen er brutal die Zunge herausgeschnitten hat. Diese Ausgeburt der Hölle hat mir gestanden, dass er die Beichte missbraucht hat. Stellt Euch nur vor, Pfarrer Johannes, während er Euch ausgeholfen hat, hat er sich seine Opfer ausgesucht. Er selbst hat Heinrich und den anderen die Ablassbriefe verkauft, für deren Besitz er sie anschließend ermordet hat. Unglaublich, Heinrich wollte doch nur für seinen Tod vorsorgen und die Zeit im Fegefeuer verkürzen. Er wusste doch gar nicht, ob er noch genügend Zeit gehabt hätte, die geforderte Buße für seine Sünden zu tun.“
Bastian ließ sich verzweifelt auf eine der vielen Treppenstufen des Juddeturms sinken.
„Jetzt hadert nicht so mit Eurem Schicksal, mein lieber Bastian. Gegen den Teufel kommen auch gute Christen nicht immer sofort an. Ihr habt ihm doch jetzt das Handwerk gelegt. Dank Euch wird mein Bruder Ignatius keiner Menschenseele mehr etwas zuleide tun können.“
Mit einer Geste großer Zuneigung legte Pfarrer Johannes seinen Arm um den traurigen Bastian.
„Ich hätte Heinrich retten können, wäre ich nur eine Minute früher dort gewesen.“
„Manchmal fordert Gott ein Opfer, um viele andere verhindern zu können. Euer Bruder war dem Tod schon sehr nahe. Ihr wisst das, Bastian. Ihr hättet ihn nur für kurze Zeit retten können. Auch wenn sein Tod grausam war, so wäre der Lungentod vielleicht noch viel schrecklicher gewesen. Ich habe Lungenkranke gesehen, die wochenlang auf dem Sterbebett gekämpft haben. Mehr tot als lebendig haben sie versucht, ihre verschleimten und entzündeten Lungen mit Luft zu füllen. Das Atmen wurde mit jedem Tag schwerer und die Anstrengung hat ihre Gesichter blau anlaufen lassen. An dieser Krankheit zu ersticken ist ein langsamer, qualvoller Tod und die Seele kann dabei Schaden nehmen, weil sie vom langen Sterben so erschöpft ist. Euer Bruder steht jetzt ganz sicher vor unserem Herrn, Bastian, macht Euch das Herz nicht so schwer.“
Bastian seufzte und wischte sich verlegen eine Träne aus dem Augenwinkel. Vor Pfarrer Johannes wollte er keine Schwäche zeigen.
„Wisst Ihr, selbst ich hatte schon darüber nachgedacht, einen Ablassbrief zu kaufen. Jeder tut dies, wenn die Zeit für sich oder einen der Lieben gekommen ist. Es ist ein offizielles Dokument der Kirche. Wie kann Bruder Ignatius dieses Verhalten als Todsünde bezeichnen?“
Pfarrer Johannes seufzte. „Dies zu erklären dauert lange. Ihr wisst, dass die Beichte drei Voraussetzungen erfüllen muss. Es braucht demnach die confessio oris, wonach keine Sünde unterschlagen werden darf. Gut, unsere armen Opfer haben alle ihre Sünden gebeichtet und in diesem Fall wurde es ihnen zum Verhängnis. Dazu kommen die contritio cordis, die rechte Zerknirschung des Herzens und der Gemütsverfassung. Und schließlich die satisfactio operis, die Genugtuung durch gute Werke. Wenn ich ehrlich sein soll, mein lieber Bastian, die letzten beiden Punkte kann jemand, der sich mit einem Ablassbrief freikauft, nicht erfüllen. Selbst wenn die Zerknirschung des Herzens vorhanden ist, wird spätestens der letzte Punkt nicht erfüllt. Vielen Kirchenvertretern ist der
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