Der Sichelmoerder von Zons
Sichel wieder aufgetaucht ist und unser Mörder das Spiel von Bruder Ignatius abermals von vorne anfängt?“, fragte Klaus in die Runde hinein. Oliver runzelte die Stirn. Er hatte die ganze Zeit in den Akten geblättert, die Klaus während seiner Abwesenheit zusammengetragen hatte.
„Keines der Opfer war besonders religiös. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer unserer Banker zur Beichte ging“, murmelte Oliver vor sich hin. Dann ging er zu seinem Laptop und öffnete das Internet. „Wenn für Bruder Ignatius damals der Kauf von Ablassbriefen eine Todsünde war, dann haben unsere Opfer vielleicht eine ähnliche Todsünde begangen.“ Er gab das Wort „Todsünde“ bei Google ein und landete direkt auf der Seite von Wikipedia. Sein Blick blieb an der modernen Interpretation der Todsünden von Mahatma Gandhi hängen.
Die sieben Todsünden der modernen Welt:
1) Reichtum ohne Arbeit
2) Genuss ohne Gewissen
3) Wissen ohne Charakter
4) Geschäft ohne Moral
5) Wissenschaft ohne Menschlichkeit
6) Religion ohne Opferbereitschaft
7) Politik ohne Prinzipien
Gleich bei der ersten Todsünde spürte Oliver ein Kribbeln in seinem Inneren. Das könnte es sein!, fuhr es ihm durch den Kopf . Reichtum ohne Arbeit. Banken verdienen Geld mit Geld und nicht mit Arbeit! Das könnte das Motiv für die Morde sein. Deshalb waren alle bisherigen Opfer ausnahmslos Bankangestellte! Er druckte die Seite mit den modernen sieben Todsünden aus, markierte die erste Zeile mit neongrüner Farbe und heftete das Blatt dann mit einem Magneten an das Whiteboard.
Klaus erhob sich und blieb vor der Tafel stehen. „Wie gesagt, ich habe die Teilnehmer aller Kundenveranstaltungen geprüft. Es gibt nur zwei Verdächtige, die auf allen Veranstaltungen – auf denen unsere Vermissten zum letzten Mal gesehen wurden – teilgenommen haben. Matthias Kronberg, ein Unternehmer und Jimmy Henders, der als vermisst gilt.“
Anna trat an die große Tafel heran und zeigte mit ihrem Finger auf das Foto von Dorothea Walser.
„Diese Frau habe ich auf der Facebook-Seite von Jimmy gesehen. Als ich näher kam, hat er sie schnell weggeklickt, aber ich bin mir ganz sicher, sie erkannt zu haben. Wie schrecklich, dass sie jetzt tot ist!“, sagte Anna.
Klaus blickte Anna an. „Genau das habe ich auch herausgefunden. Alle Opfer sind mit Jimmy Henders auf Facebook verbunden. Sie sind alle seine Freunde. Und noch etwas. Unsere IT-Spezialisten haben herausgefunden, dass er sie alle samt dazu eingeladen hat, sich mit ihm auf den Kundenveranstaltungen zu treffen.“
Anna wurde blass im Gesicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Jimmy ein brutaler Mörder war. Doch dann kamen ihr die vielen Überwachungskameras und die Mönchsgesänge aus seinem Appartement in den Sinn. Unsicherheit breitete sich in ihr aus.
„Ich glaube, ich habe auch eine solche Einladung von Jimmy bekommen.“ Ohne weiter zu reden, hielt sie Klaus ihr Handy mit der SMS von Jimmy hin.
XXI
Vor fünfhundert Jahren
Kalte Wut stand Bastian ins Gesicht geschrieben. Er hätte Bruder Ignatius am liebsten mit seinen bloßen Händen erwürgt. Völlig erschöpft und mit letzter Kraft hatte er den schweren Körper von Bruder Ignatius in das oberste Geschoss des Juddeturms geschleppt. Bis auf ihn und Pfarrer Johannes durfte niemand diesen Raum betreten.
„Sagt mir jetzt sofort, wo Ihr meinen Bruder Heinrich versteckt habt! Es steht Euch nicht zu, seine Seele der Ewigkeit zu entziehen. Er hat eine Beerdigung in geweihter Erde verdient!“
Bruder Ignatius, der mittlerweile wieder zu Bewusstsein gelangt war, verzog sein Gesicht zu einer höhnischen Miene und lachte schallend.
„Ihr müsst mir schon in die Hölle folgen, wenn Ihr wissen wollt, wo die Leiche Eures Bruders ist!“
Bastian konnte sich nicht länger beherrschen und schlug dem Mönch mit seiner geballten Faust mitten ins Gesicht. Der Kiefer von Bruder Ignatius knirschte beim Aufprall wie ein zerberstender Kürbis. Das gehässige Grinsen verschwand jedoch - trotz der Härte des Schlages - nicht aus seiner Miene.
„Sagt mir, wo mein Bruder ist!“
Bastian holte schon zum nächsten Schlag aus, als Pfarrer Johannes ihn von hinten festhielt.
„Haltet ein, mein Sohn. So werdet Ihr nichts aus ihm herausbekommen.“
Pfarrer Johannes ging auf seinen Bruder zu, sah ihm tief in die Augen und schwieg. Die Stille, die plötzlich in der winzigen Zelle im Juddeturm herrschte, war unerträglich. Fast nahm sie Bastian die
Weitere Kostenlose Bücher