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Der siebente Sohn

Der siebente Sohn

Titel: Der siebente Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orson Scott Card
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sicheres Anzeichen für Alvin, daß ein Erwachsener ihn belügen würde, so wie sie Kinder immer belogen, als könnte man Kindern niemals die Wahrheit anvertrauen. »Ach, ich schätze, sie streiten sich einfach nur, um sich reden zu hören.«
    Meistens hörte Alvin sich die Lügen der Erwachsenen einfach nur an, ohne etwas zu sagen, doch diesmal sprach er mit Measure, und von Measure wollte er nicht angelogen werden.
    »Wie alt muß ich erst werden, bevor du mir die Wahrheit sagst?« fragte Alvin.
    In Measures Augen blitzte für einen Augenblick der Zorn auf – niemand ließ sich gerne einen Lügner heißen –, doch dann grinste er: »Alt genug, um die Antwort selbst erraten zu können, aber jung genug, damit es dir noch etwas nützt.«
    »Wann ist das?« wollte Alvin wissen. »Ich will, daß du mir die Wahrheit jetzt sagst.«
    Measure kauerte sich wieder nieder. »Das kann ich nicht immer tun, denn manchmal wäre es einfach zu schwierig. Manchmal müßte ich Dinge erklären, die ich nicht erklären kann. Manchmal gibt es Dinge, die man nur verstehen kann, wenn man lange genug gelebt hat.«
    Alvin war wütend, und er wußte, daß sein Gesichtsausdruck das auch verriet.
    »Sei nicht so böse auf mich, kleiner Bruder. Manche Dinge kann ich dir nicht sagen, weil ich sie einfach selbst nicht weiß, und das ist keine Lüge, aber auf eines kannst du zählen. Wenn ich es dir sagen kann, werde ich es tun, und wenn ich es nicht kann, dann werde ich das sagen und nicht so tun als ob.«
    Das war das Fairste, was ein Erwachsener Alvin jemals gesagt hatte. »Dieses Versprechen mußt du aber auch halten, Measure.«
    »Ich werde es halten oder lieber sterben, darauf kannst du rechnen.«
    »Ich werde es nämlich nicht vergessen.«
    Alvin erinnerte sich an den Schwur, den er dem leuchtenden Mann letzte Nacht abgeleistet hatte. »Ich weiß auch ein Versprechen zu halten.«
    Measure lachte, zog Alvin an sich und drückte ihn gegen seine Schulter. »Du bist genauso schlimm wie Mama«, sagte er. »Du gibst einfach nicht auf.«
    »Ich kann nicht anders«, erwiderte Alvin. »Wenn ich anfange, dir zu glauben, woher soll ich dann wissen, wann ich damit aufhören muß?«
    »Hör niemals damit auf«, antwortete Measure.
    Dann kam Calm auf seiner alten Mähre herbeigeritten, und Mama trat mit dem Essenskorb hinaus. Alle, die zum Gehen fertig waren, verschwanden nun. Papa führte Alvin Junior hinüber zur Scheune. Sofort half Alvin dabei, die Bretter zu kerben. Seine Stücke paßten besser zusammen als Papas, weil Al seine Fertigkeit dazu verwenden konnte. Dieser Altar sollte allen gehören, so daß er das Holz dazu bringen konnte, so genau zusammenzupassen, daß es niemals mehr auseinanderfallen würde. Alvin dachte sogar daran, Papas Fugen genauso haltbar zu machen, doch als er es versuchte, stellte er fest, daß Papa selbst etwas von dieser Fertigkeit besaß. Das Holz fügte sich zwar nicht zu einem durchgehenden Stück zusammen wie bei Alvin, aber es paßte gut genug.
    Papa sagte nicht viel. Das brauchte er auch nicht. Sie wußten beide, daß Alvin Junior die Fähigkeit besaß, Dinge passend zu machen. Bei Nachtanbruch war der ganze Altar zusammengebaut und gebeizt. Als sie ins Haus zurückschritten, ruhte Papas Hand fest auf Alvins Schulter. Sie schritten so eng nebeneinander, als wären sie beide Teil desselben Körpers, als wäre Papas Hand gerade aus Alvins Hals hervorgewachsen. Alvin spürte den Puls in Papas Finger, und er schlug im selben Rhythmus mit dem Blut in seiner eigenen Kehle.
    Mama stand am Feuer, als sie eintraten. Sie drehte sich um und sah sie an. »Wie steht es?« fragte sie.
    »Das ist das glatteste Stück Holz, das ich je gesehen habe«, meinte Alvin Junior.
    »In der Kirche gab es heute keinen einzigen Unfall mehr«, erzählte Mama.
    »Hier ist auch alles richtig gut gelaufen«, erwiderte Papa.
    Um nichts in der Welt hätte Alvin Junior erklären können, warum Mamas Worte sich anhörten wie »Ich gehe nicht weg« und warum Papas Worte klangen wie »Bleib immer bei mir«. Aber er wußte, daß er nicht verrückt war, so etwas zu denken, denn im selben Augenblick hob Measure, der ausgestreckt vor dem Feuer lag, den Blick und zwinkerte, daß nur Alvin Junior es sehen konnte.

8. Der Besucher

    Reverend Thrower gestattete sich selbst nur wenige Laster, eines davon aber war es, das Freitagsessen bei den Weavers einzunehmen. Die Bezeichnung Freitagabendessen war allerdings treffender, da die Weavers Kaufleute und

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