Der siebente Sohn
geschrieben?«
»Der alte Ben Franklin.«
»Soviel, wie ich gehört habe, war der einzige Amerikaner, den der jemals gemacht hat, unehelich.«
»Vielleicht wird Al Junior es Euch später erklären«, entgegnete Geschichtentauscher.
Während sie sich unterhielten, kroch Alvin vor sie, um sich die Handschrift des Alten Ben anzuschauen. Sie sah überhaupt nicht anders aus als andere. Alvin war ein wenig enttäuscht, obwohl er nicht hätte sagen können, was er eigentlich erwartet hatte. Hätten die Buchstaben etwa aus Gold sein sollen? Natürlich nicht. Es gab keinen Grund, weshalb die Worte eines großen Mannes anders aussehen sollten als die Worte eines Narren.
Und doch war er irgendwie enttäuscht. Er griff nach dem Buch und blätterte einige Seiten um und wellte sie dabei mit den Fingern. Die Worte waren alle gleich: rauhe Tinte auf vergilbendem Papier.
Plötzlich schoß ein Lichtblitz aus dem Buch hervor und blendete ihn einen Augenblick.
»Spiel nicht so mit den Seiten«, sagte Papa. »Sonst zerreißt du noch eine.«
Alvin wandte sich zu Geschichtentauscher um. »Was ist denn das für eine Seite mit dem Licht?« fragte er. »Was steht denn dort?«
»Licht?« fragte Geschichtentauscher.
Alvin begriff, daß er es als einziger gesehen hatte.
»Such die Seite selbst«, sagte Geschichtentauscher.
»Er wird sie nur zerreißen«, meinte Papa.
»Er wird schon vorsichtig sein«, erwiderte Geschichtentauscher.
Aber Papa klang zornig. »Ich habe gesagt, du sollst das Buch in Ruhe lassen, Alvin Junior.«
Alvin wollte gerade gehorchen, da fühlte er Geschichtentauschers Hand auf seiner Schulter. Geschichtentauschers Stimme war ruhig, und Alvin spürte, wie sich die Finger des alten Mannes zu einem Zeichen der Abwehr bewegten. »Der Junge hat etwas in dem Buch gesehen«, sagte Geschichtentauscher, »und ich möchte, daß er es für mich wieder sucht.«
Zu Alvins Überraschung gab Papa nach. »Wenn es Euch nichts ausmacht, daß dieser achtlose, faule Junge Euer Buch zerfetzt«, murmelte er und verstummte.
Alvin wandte sich wieder dem Buch zu und blätterte vorsichtig die Seiten um, eine nach der anderen. Schließlich hatte er eine erreicht, aus der ein Licht hervortrat, das ihn zuerst blendete, aber langsam matter wurde, bis das Licht nur noch von einem einzelnen Satz ausstrahlte, dessen Buchstaben brannten.
»Seht Ihr sie brennen?« fragte Alvin.
»Nein«, sagte Geschichtentauscher. »Aber ich rieche den Rauch. Berühre die Worte, die für dich brennen.«
Alvin streckte die Hand vor und berührte vorsichtig den Anfang des Satzes. Zu seiner Überraschung war die Flamme nicht heiß, obwohl sie ihn zunächst wärmte. Sie wärmte ihn bis auf die Knochen. Er erschauerte, als die letzte Herbstkälte aus seinem Körper entwich. Er lächelte, so hell war alles in ihm. Doch kaum hatte er sie berührt, da erlosch die Flamme, kühlte sich ab, war verschwunden.
»Was steht dort?« fragte Mama. Sie stand an der anderen Seite des Tisches vor ihnen.
Geschichtentauscher las vor. »Ein Macher ist geboren.«
»Es hat keinen Macher oder Schöpfer mehr gegeben«, sagte Mama, »seit jenem, der das Wasser in Wein verwandelt hat.«
»Vielleicht nicht, aber das hat sie jedenfalls geschrieben«, sagte Geschichtentauscher.
»Wer hat es geschrieben?« wollte Mama wissen.
»Ein kleines Mädchen. Es ist ungefähr fünf Jahre her…«
»Welche Geschichte gehörte zu ihrem Satz?« fragte Alvin Junior.
Geschichtentauscher schüttelte den Kopf.
»Ihr habt doch gesagt, daß Ihr die Leute nie hineinschreiben laßt, es sei denn, Ihr kennt ihre Geschichte.«
»Sie hat es hineingeschrieben, als ich gerade nicht hinsah«, erklärte Geschichtentauscher. »Ich habe es erst bei meinem nächsten Halt bemerkt.«
»Woher wißt Ihr dann, daß sie es gewesen ist?« fragte Alvin.
»Sie war es«, erwiderte er. »Sie war die einzige dort, die den Zauber hätte öffnen können, den ich damals auf dieses Buch gelegt hatte.«
»Dann wißt Ihr also gar nicht, was es bedeutet? Ihr könnt mir nicht einmal sagen, warum ich diese Buchstaben habe brennen sehen?«
Geschichtentauscher schüttelte den Kopf. »Wenn ich mich recht erinnere, war sie die Tochter eines Gastwirts. Sie sprach nur sehr wenig, und wenn sie es tat, so war es immer völlig wahr. Nicht eine Lüge, nicht einmal, um gütig zu sein. Sie galt als etwas widerspenstig. Doch wie das Sprichwort sagt: Wenn du immer sagst, was du denkst, wird der böse Mann dich meiden. Oder irgend etwas
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