Der siebente Sohn
zu London oder Paris hätte bedeuten können.
»Es ist ein schöner Morgen heute«, sagte Goody Faith. »Ihr habt noch weit zu gehen, bevor es dunkel wird.«
»Ihr könnt es mir nicht verargen, wenn ich zögere zu gehen. Obgleich ich froh bin, daß Ihr mir diesen Botendienst anvertraut habt, und ich werde Euch nicht enttäuschen.«
Er klopfte gegen seine Tasche, in der der Brief an den Hufschmied von Hatrack River lag.
»Ihr könnt nicht gehen, ohne Euch von dem Jungen zu verabschieden«, meinte Miller.
Er hatte es so lange vor sich hingeschoben, wie er nur konnte. Nun nickte er, hob sich aus dem bequemen Sessel am Feuer und schritt zu dem Raum hinüber, in dem er die besten Nächte seines Lebens verbracht hatte. Alvin Juniors Augen waren weit offen, sein Gesicht lebhaft, nicht mehr von Schmerz verzerrt, obwohl er immer noch Schmerzen haben mochte.
»Ihr geht?« fragte der Junge.
»Ich bin schon so gut wie fort, ich muß dir nur noch Lebewohl sagen.«
Alvin wirkte ein bißchen zornig. »Also laßt Ihr mich nicht einmal in Euer Buch schreiben?«
»Das tut nicht jeder, weißt du.«
»Pa hat es getan. Und Mama.«
»Und Cally auch.«
»Ich wette, das sieht bestimmt gut aus«, meinte Alvin. »Der schreibt doch wie ein, wie ein…«
»Wie ein Siebenjähriger.«
Es war eine Zurechtweisung, aber Alvin zuckte nicht zusammen.
»Warum dann nicht ich? Warum Cally und nicht ich?«
»Weil ich die Leute nur die wichtigsten Dinge hineinschreiben lasse, die sie jemals getan oder mit eigenen Augen gesehen haben. Was würdest du denn schreiben?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht über den Mühlstein.«
Geschichtentauscher schnitt eine Grimasse.
»Dann vielleicht über meine Vision. Die ist wichtig, das habt Ihr selbst gesagt.«
»Ja, und sie ist auch schon an anderer Stelle aufgeschrieben worden, Alvin.«
»Ich will etwas in dieses Buch schreiben«, sagte er. »Ich will, daß mein Satz zusammen mit dem des Machers Ben dort drin steht.«
»Noch nicht«, sagte Geschichtentauscher.
»Wann denn!«
»Wenn du diesen verdammten Entmacher vernichtet hast, Junge. Dann werde ich dich in dieses Buch schreiben lassen.«
»Und was, wenn ich ihn nie vernichtet bekomme?«
»Dann ist dieses Buch sowieso nicht viel wert.«
Die Tränen traten Alvin in die Augen. »Was, wenn ich sterbe?«
Ein Angstschauer durchzog Geschichtentauscher. »Wie geht es dem Bein?«
Der Junge zuckte die Achsel. Mit den Augenlidern verdrängte er die Tränen.
»Das ist keine Antwort, Junge.«
»Es hört nicht auf, weh zu tun.«
»Das wird es so lange tun, bis die Knochen verheilt sind.«
Alvin Junior lächelte wehmütig. »Der Knochen ist schon verheilt.«
»Warum gehst du dann nicht?«
»Es tut mir weh, Geschichtentauscher. Es hört nicht auf. Da muß eine schlimme Stelle am Knochen sein, und ich habe noch nicht herausbekommen, wie ich sie richtig heil machen kann.«
»Du wirst schon einen Weg finden.«
»Bisher habe ich ihn noch nicht gefunden.«
»Ein alter Fallensteller hat mal zu mir gesagt: ›Es spielt keine Rolle, ob du am Hintern oder am Brustknochen anfängst, Hauptsache, du bekommst den Panther gehäutet.‹«
»Ist das ein Sprichwort?«
»Es kommt ihm nahe. Du wirst einen Weg finden, auch wenn er nicht das sein sollte, was du erwartest.«
»Ich erwarte gar nichts«, sagte Alvin. »Nichts wird so, wie ich es mir vorstelle.«
»Du bist zehn Jahre alt, Junge. Bist du der Welt schon müde?«
Alvin rieb unentwegt mit Daumen und Fingern an den Falten seiner Decke. »Geschichtentauscher, ich sterbe.«
Geschichtentauscher musterte sein Gesicht, versuchte, darin den Tod zu erkennen. »Das glaube ich nicht.«
»Die schlimme Stelle an meinem Bein. Sie wächst. Vielleicht nur langsam, aber sie wächst. Sie ist unsichtbar, und sie frißt die harten Stellen des Knochens weg, und nach einer Weile wird sie immer schneller und schneller werden und…«
»Und dich entmachen.«
Diesmal weinte Alvin wirklich, und seine Hände zitterten. »Ich habe Angst vor dem Sterben, Geschichtentauscher, aber es ist in mich hineingelangt, und ich kann es nicht mehr herausbekommen.«
Geschichtentauscher legte beruhigend eine Hand auf Alvins. »Du wirst einen Weg finden. Du hast noch viel zuviel auf dieser Welt zu tun, um jetzt schon zu sterben.«
Alvin rollte die Augen. »So etwas Dummes habe ich in diesem Jahr noch nicht gehört. Nur weil jemand noch etwas zu tun hat, muß das noch lange nicht bedeuten, daß er nicht sterben wird.«
»Aber es
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