Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
zusammengesetzt aus Niedergeschlagenheit und Widerspenstigkeit. Wie die Sirene eines Alptraums konnte er das Mädchen durch seine Auflehnung Berek! rufen hören. Unterdessen verlief die Straße durch ein Gehölz, das ihn vom schwachen Sternenschein abschnitt. Er vermochte das Pflaster unter seinen Füßen nicht zu spüren; er schwebte in der Gefahr, vom Weg abzukommen, in einen Graben zu fallen oder gegen einen Baum zu rennen. Er bemühte sich darum, sein Tempo beizubehalten, aber das Risiko war zu groß, und zuletzt war er soweit, daß er mit nach vorn ausgestreckten Armen fuchteln und vor jedem Schritt den Untergrund prüfen mußte wie ein Blinder. Bis er den jenseitigen Rand des Wäldchens erreichte, tappte er wie in einem Traumland verirrt dahin, klamm von Schweiß, so daß er fror. Danach jedoch zwang er sich einen Gewaltmarsch auf. Dabei spornten ihn die Rufe an, die ihn hinterrücks bedrängten: Berek! Berek! Als er nach vielen langen Kilometern endlich auf die Zufahrt zur Haven Farm einbog, geschah es nahezu im Laufschritt.
Im Sanktuarium seines Hauses schaltete er alle Lichter an und verschloß alle Türen. Die spartanische Schlichtheit seiner Wohnräume stärkte ihn mit ihrem trostlosen Dogma. Ein Blick auf die Küchenuhr setzte ihn davon in Kenntnis, es war kurz nach Mitternacht. Ein neuer Tag hatte begonnen – der Sonntag, der Tag, an dem andere Menschen zu beten pflegten. Er setzte Kaffee auf, zog seine Jacke aus, warf sie samt Schlips und Frackhemd beiseite, begab sich dann mit einer Tasse dampfenden Kaffees ins Wohnzimmer. Dort nahm er auf dem Sofa Platz, verschob Joans Foto auf dem Kaffeetisch, so daß es ihm direkt zugekehrt war, und machte sich daran, die Krise zu meistern. Er mußte einen Ausweg finden. Er war mit all seinen Mitteln am Ende und konnte den Weg nicht weitergehen, auf dem er sich befand. Berek! Der Ruf des Mädchens und der unkultivierte Beifall des Publikums, der Groll des Fernfahrers, das alles hallte in seinem Innern wider wie ein dumpfes Erdbeben. Er saß gefangen zwischen wahnsinnigen Zwangsvorstellungen und dem übermächtigen Druck seiner Mitmenschen. Lepra! Ausgestoßener! Unrein! Er packte seine Schultern und versuchte, die beklommenen Schläge seines Herzens zu besänftigen. Ich kann es nicht durchstehen! Irgend jemand muß mir helfen! Plötzlich klingelte das Telefon; das Geräusch fiel ihn an wie ein Fluch. Wacklig sprang er auf wie ein loses Bündel gebrochener Knochen, kam auf die Füße. Dann jedoch verharrte er. Es fehlte ihm an Mut, um weitere Feindseligkeiten, noch mehr boshafte Auslassungen auf sich zu nehmen.
Das Telefon klingelte nochmals. Sein Atem bebte in seinen Lungen. Hinterm Glas des Fotorahmens schien Joan sich ihm zu nähern. Noch ein Läuten, zudringlich wie eine drohende Faust. Er trottete zum Telefon, riß den Hörer vom Apparat und drückte ihn fest ans Ohr, um ihn ruhig halten zu können. »Tom?« fragte eine leise, bekümmerte Stimme beinahe seufzend. »Tom, ich bin's – Joan. Tom? Ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt. Ich weiß, es ist spät, aber ich mußte einfach anrufen. Tom?« Covenant stand starr und steif da, wie in Habachtstellung aufgerichtet, die Knie, um nicht zu stürzen, sozusagen eingerastet. Seine Kiefer mahlten, doch er bekam keinen Laut hervor. Seine Kehle fühlte sich geschwollen und verschlossen an, verstopft mit Emotionen, und seine Lungen begannen schmerzhaft um Luft zu ringen. »Tom? Bist du dran? Hallo? Tom? Bitte sag doch etwas. Ich muß mit dir reden. Ich bin so einsam. Ich ... ich vermisse dich.« Er konnte in ihrer Stimme die Anstrengung hören, die das Eingeständnis sie kostete. Sein Brustkorb hob und senkte sich mühselig, als müsse er ersticken. Unvermittelt wich der Kloß aus seiner Kehle, und er nahm einen tiefen Atemzug, der klang, als täte er ihn zwischen zwei Schluchzern. Doch nach wie vor vermochte er kein Wort zu sagen. »Tom! Bitte! Was ist los mit dir?« Seine Stimme schien in irgendeiner tödlichen Umkrallung festzustecken. Verzweifelt darum bemüht, die Hemmung zu sprengen, Joan zu antworten, sich an ihre Stimme zu klammern, die Verbindung aufrechtzuerhalten, ergriff er den Telefonapparat und wollte damit zurück zum Sofa, in der Hoffnung, die Bewegungen würden den Krampf lösen, der ihn lähmte, ihm wieder zur Gewalt über seine Muskeln verhelfen. Aber er drehte sich in die verkehrte Richtung, wickelte sich dabei die Telefonschnur um einen Fußknöchel. Bei den ersten Schritten stolperte er und
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