Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
gedämpft ein Lied und trieb Myrha zum Fuße des Erdrutsches. Dort packte sie den Stab am einen und senkte das andere Ende auf den Felsboden. Er schien zu pochen, als sie am Rand des Erdrutsches entlangritt, parallel zum Rand eine Linie in den Erdboden zog. Sie lenkte Myrha erst zur einen, dann zur jenseitigen Felswand. Den Stab noch am Erdboden, kehrte sie anschließend in die Mitte zurück. Dort drehte sie sich wieder der Barriere zu, schwang den Stab und schlug damit einmal auf die vorher gezogene Linie. Vom Verlauf des Strichs flackerte ein gekräuselter Schleier aus grünlichen Funken empor. Sie glommen wie energetische Kreuzstiche über jedem Umriß, jeder Wölbung des Gesteins, das die Ausläufer der Schutthalden bildete. Einen Augenblick später erloschen sie und hinterließen in der Luft einen im wesentlichen unbestimmbaren, andeutungsweise orchideenhaften Geruch. Das dumpfe Stöhnen der Trümmer ließ ein bißchen nach.
»Kommt!« sagte der Hoch-Lord. »Wir müssen sofort hinübersteigen. Dies Werk wird nicht lang überdauern.«
Sofort setzten Morin und Bannor ihre Ranyhyn in Bewegung. Amok sprang an ihrer Seite dahin. Er hielt sich mit Leichtigkeit neben den Ranyhyn.
Als er nach oben schaute, fühlte Covenant in seinen Eingeweiden eine Übelkeit, die er wie eine böse Vorahnung empfand. Aus schlimmer Erwartung verkrampfte sich die Muskulatur seiner Kiefer. Aber er hieb seinem Pferd die Fersen in die Flanken und trieb es zum Erdrutsch und dessen dunklem Ächzen. Er holte die Bluthüter ein. Sie ritten an seine beiden Seiten, und zusammen folgten sie Elena und Amok den bröckligen Abhang hinauf.
Der Hoch-Lord und seine Begleiter erstiegen den Hang im Zickzack. Ihr Aufstieg bedeutete das Abwägen der mit einer Verzögerung verbundenen Gefahren mit dem Risiko einer direkten Attacke im Bereich des Erdrutsches. Covenants Hengst kämpfte sich mühsam aufwärts, und seine Anstrengungen unterschieden sich merklich vom geschmeidigen Kraftaufwand der Ranyhyn. Deren Hufe stießen Schieferplatten und Geröll hangabwärts, aber sie setzten ihre Füße sicher auf.
Es gab keine Zwischenfälle.
Binnen kurzem stand Covenant in dem abgerundeten V-Einschnitt auf der Höhe des Erdrutsches. Auf das, was jenseits der Barriere lag, war er allerdings nicht vorbereitet. Wie selbstverständlich hatte er damit gerechnet, das südliche Ende des Tals sei gleich beschaffen wie das Nordende. Doch von der Kuppe des Erdrutsches aus konnte er erkennen, daß die großen, weitläufigen Bruchstellen über ihm zu gewaltig waren, um lediglich diesen massenweisen Steinschlag verursacht zu haben, den man vom Norden her sah.
Irgendwo direkt unter ihm sackte der Boden des Tals schlagartig ab. Die Steinlawinen von beiden Seiten des Tals hatten einen regelrechten Abgrund zugeschüttet.
Die Südseite des Schuttbergs war drei- bis viermal länger als der nördliche Hang. Weit drunten mündete das Tal in eine grasbewachsene Mulde, durchsetzt mit Kiefernwäldchen; an einer der Felswände entsprang ein Bächlein. Aber um diese verlockende Umgebung zu erreichen, mußte er mindestens dreihundert Meter weit über das tückische Gestein hinabklettern, das so rege war wie ein Berg Knallfrösche.
Er schluckte schwerfällig. »Alle Teufel! Kannst du das zusammenhalten?«
»Nein«, antwortete Hoch-Lord Elena rundheraus. »Aber was ich getan habe, wird eine gewisse Festigung gewährleisten. Und ich vermag weitere Maßnahmen zu ergreifen, sollte es notwendig sein.« Mit nachdrücklichem Nicken schickte sie Amok hangabwärts voraus.
Bannor empfahl Covenant, dicht hinter ihm zu bleiben, dann lenkte er seinen Ranyhyn Amok hinterdrein.
Für einen Moment fühlte sich Covenant zu gelähmt durch prophetisch bedingte Bestürzung, um sich zu rühren. Seine trockene, eingeschnürte Kehle und seine bleiern schwere Zunge konnten kein einziges Wort hervorbringen.
Hölle und Verdammung, sagte er insgeheim auf. Hölle und Verdammnis!
Er gab sich verloren und trieb seinen Hengst Bannor nach. Ein Teil seines Innern wußte, daß Morin und Elena sich ihm anschlossen, aber er schenkte ihnen keine Beachtung. Er heftete seinen Blick fest auf Bannors Rücken und versuchte, ihn dort zu lassen, bis sie den Abstieg bewältigt hatten. Aber noch bevor dreißig Meter zurückgelegt waren, verscheuchte die Unruhe seines Reittiers alles andere aus seinem Bewußtsein.
Das Pferd zuckte und ruckte mit den Ohren, als wolle es bei jedem neuen Seufzen aus der Tiefe des heiklen Untergrunds
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