Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Jährchen mehr, weil ich mir alles vorlesen lassen mußte, aber schließlich schaffte ich sowohl Mittelschule wie auch die Uni. Danach bestand meine einzige wirkliche Geschicklichkeit darin, im Kopf räumliche Verhältnisse im Zusammenhang zu verfolgen. Zum Beispiel konnte ich Schach ohne Brett spielen. Und wenn mir jemand einen Raum beschrieb, konnte ich darin umherlaufen, ohne irgendwo anzustoßen. Darin war ich aus Grundsätzlichkeit sehr gut, weil das die Art und Weise war, wie ich mich am Leben hielt. Dank dieser Fähigkeit bekam ich schließlich einen Job in einer Denkzelle des Verteidigungsministeriums. Dort brauchte man Leute, die dazu in der Lage waren, eine Situation zu begreifen, ohne sie selber zu sehen – Leute mit der Begabung, unter alleiniger Verwendung von Sprache mit materiellen Tatsachen umgehen zu können. Ich war der Experte für Kriegsspiele, Computerhypothesen, dergleichen Krimskrams. Ich benötigte lediglich genaue mündliche Angaben zur Topografie, Truppenstärke, Bewaffnung, Einteilung und Nachschubkapazität, dann konnte das Spielchen losgehen. Ich habe immer gewonnen. Was hatte ich denn da für eine Bedeutung? Absolut keine. Ich war in der Gruppe der Freak, sonst nichts. Im übrigen habe ich so gut auf mich achtgegeben wie möglich. In bezug auf Wohnraum war ich allerdings so ziemlich auf das angewiesen, was ich kriegen konnte. Infolgedessen wohnte ich in einem Apartmenthaus im neunten Stock, und eines Nachts brannte es ab. Das heißt, ich nehme jedenfalls an, daß es abgebrannt ist. Die Feuerwehr war noch nicht eingetroffen, als das Feuer in mein Apartment vordrang. Ich konnte nichts machen. Die Flammen drängten mich an die Wand, und schließlich mußte ich zum Fenster hinausklettern. Ich hing am Fensterbrett, während die Hitze mir an den Händen die Knöchel versengte. Ich war fest entschlossen, nicht loszulassen, weil ich eine einigermaßen gute Vorstellung davon hatte, wie hoch neun Stockwerke sind. Aber mein Wille bedeutete keinen Unterschied. Nach einer Weile konnten meine Finger den Halt ganz einfach nicht länger bewahren. Meine nächste bewußte Wahrnehmung bestand darin, daß ich auf etwas lag, das sich wie Gras anfühlte. Kühler Wind wehte, aber dahinter spürte ich genug Wärme, um zu vermuten, daß es Tag sei. Die einzige Unannehmlichkeit rundum war der Gestank nach verkohltem Fleisch. Ich dachte, der Gestank käme von mir selbst. Dann hörte ich Stimmen, die eindringlichen Rufe von Leuten, die sich abhetzten, um irgend etwas zu verhindern. Sie fanden mich. Später erfuhr ich, was sich abgespielt hatte. Ein junger Schüler an der Schule der Lehre hatte eine Inspiration bezüglich eines bestimmten Teils vom Zweiten Kreis des Wissens, mit dem er sich befaßte. Das war vor fünf Jahren. Er glaubte, er hätte herausgefunden, wie sich fürs Land Hilfe herbeirufen ließe – das heißt, wie er dich herrufen könne. Er wollte es unbedingt versuchen, aber die Lehrwarte sprachen sich dagegen aus. Sie hielten's für zu gefährlich. Sie griffen seine Idee jedoch auf und setzten sich eingehender mit ihr auseinander, schickten einen Boten nach Schwelgenstein, damit ihnen ein Lord bei der Entscheidung über die Frage helfe, wie man seine Theorie am besten überprüfen solle. Tja, aber der junge Mann wollte nicht warten. Er verdrückte sich aus der Schule der Lehre und stieg ein paar Kilometer weit in die Berge westlich von Trothgard hinauf, bis er meinte, er sei weit genug entfernt, um in Ruhe arbeiten zu können. Dann legte er mit dem Ritual los. Irgendwie bemerkten die Lehrwarte die Kräfte, die er in Bewegung setzte, und suchten ihn. Aber sie kamen zu spät. Er hatte Erfolg – jedenfalls auf gewisse Weise. Als er fertig war, lag ich dort im Gras, und er ... er hatte tödliche Verbrennungen erlitten. Einige Lehrwarte glauben, er hat in den Flammen Feuer gefangen, in denen sonst ich umgekommen wäre. Wie sie ihm gesagt hatten, die Sache war zu gefährlich. Die Lehrwarte nahmen mich mit und pflegten mich, taten Heilerde auf meine Hände – und sogar auf meine Augenhöhlen. Nicht lange, und ich hatte Gesichtswahrnehmungen. Farben und Formen kamen zu mir aus ... eben aus dem, an das ich gewöhnt war. Eine runde, weißorangene Scheibe wanderte jeden Tag über mich hinweg, aber ich wußte gar nicht, worum es sich handelte. Ich wußte nicht einmal, was ›rund‹ war, ich besaß keinen visuellen Begriff von ›rund‹. Die Eindrücke wurden immer stärker. Am Ende erklärte mir Elena –
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