Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Hoch-Lord Prothall, der das Aufgebot anführte, noch vor der Rückkehr nach Schwelgenstein auf seine Hoch-Lordschaft verzichtet hatte. Er konnte nicht vergessen, daß der greise Herdwart Birinair an seiner Stelle den Tod fand. Außerdem hatte er das Gefühl, mit der Wiedergewinnung des Stabes sei sein Schicksal erfüllt worden, habe er alles vollbracht, was er zu bewältigen vermochte. Er vertraute den Stab des Gesetzes und den Zweiten Kreis des Wissens Lord Mhorams Obhut an und ritt davon in seine Heimat in den Nordlandhöhen. Die Bewohner der Herrenhöh sahen ihn nie wieder. Nach Mhorams Rückkehr trat Osondrea die Hoch-Lordschaft an. Bis zu ihrem Tode setzte sie all ihre Kräfte ein, um den Großrat zu stärken, das Kriegsheer zu vergrößern und Schwelgenholz aufzubauen, den neuen Sitz der Schule der Lehre. Im Anschluß an die Rückkehr nach Schwelgenstein hatte auch Quaan – der Streitwart des Fähnleins, von dem Prothall und Mhoram begleitet worden waren – seinen Dienst zu quittieren beabsichtigt, aus Scham, nur die Hälfte seiner Krieger lebend zurückgebracht zu haben. Doch Hoch-Lord Osondrea kannte seinen Wert und ließ ihn nicht gehen, und bald nahm er seinen Dienst wieder auf. Nun war er Schwertwart des Kriegsheers, Hile Troys Stellvertreter. Sein Haar war weiß geworden und ausgedünnt, sein Blick wirkte durch Alter und Abnutzung stumpfer, aber er war noch immer der gleiche starke, aufrichtige Mann wie früher. Die Lords achteten ihn. In Troys Abwesenheit würden sie ihm die Führung des Kriegsheers vorbehaltlos anvertrauen.
Covenant stieß einen Seufzer der Mißstimmung aus und schickte Bannor wieder vor die Tür. Solche Informationen entsprachen nicht seinen Bedürfnissen. Offensichtlich war es ihm nicht bestimmt, für sein Dilemma leichte Lösungen zu finden. Wenn er Beweise für den Wahncharakter seiner Erlebnisse wollte, mußte er sie sich selber besorgen. Er schickte sich nur mit Bestürzung in diese Aussicht. Was immer er unternehmen konnte, es würde lange dauern, bis es Früchte trug. Der endgültige Beweis, lückenlos und unbestreitbar, lag erst vor, wenn seine Wahngebilde endeten, wenn er zurückgekehrt war in die Wirklichkeit. Unterdessen halfen alle Anstrengungen ihm wenig. Aber er hatte keine Wahl; sein Bedürfnis war zu dringlich. Er wußte drei machbare Möglichkeiten, um eine eindeutige Diskrepanz zu schaffen: er konnte seine Kleidung vernichten, sein Taschenmesser wegwerfen – den einzigen Gegenstand in seinen Taschen – oder sich einen Bart wachsen lassen; wenn er dann erwachte und noch seine Sachen trug, noch das Taschenmesser besaß oder rasiert war, dann hatte er seinen eindeutigen Beweis. Der scheinbar offenkundigen Diskrepanz seiner geheilten Stirn traute er nicht. Die gemachten Erfahrungen rechtfertigten die Befürchtung, daß er kurz vor der Beendigung seiner Wahnerlebnisse eine neue Verletzung erlitt. Zu den ersten beiden Alternativen konnte er sich nicht entschließen. Die Vorstellung, seine widerstandsfähige, vertraute Kleidung zu zerstören, flößte ihm ein zu starkes Gefühl von Verwundbarkeit ein, und die Folgen eines Verzichts auf sein Taschenmesser empfand er als zu unsicher. Er verfluchte diese Art, wie sein Los ihn zur Aufgabe all der strikten Gewohnheiten zwang, von denen sein Überleben abhing, und beschloß, künftig das Rasieren zu unterlassen. Als er schließlich genug Mumm aufbrachte und sich aus seinen Räumen wagte, um sich in der Herrenhöh nach so etwas wie einem Frühstück umzuschauen, galten ihm die Bartstoppeln auf seinen Wangen als eine Demonstration des Trotzes. Bannor führte ihn in einen der geräumigen Speisesäle Schwelgensteins und ließ ihn zum Essen allein.
Aber noch bevor Covenant damit fertig war, kam der Bluthüter zurück an seinen Tisch. Im Federn von Bannors Schritten spiegelte sich irgendwie zusätzliche Spannung wider – eine Straffheit, die seltsamerweise nach Erregung aussah. Doch als er Covenant ansprach, blieben seine gleichgültigen, verschleierten Augen ohne Ausdruck, und der gedämpfte Zungenschlag seiner Stimme klang so modulationsarm wie immer. »Ur-Lord, der Großrat ersucht dich, du mögest in die Klause kommen. Ein Fremder hat Schwelgenstein betreten. Die Lords werden binnen kurzem mit ihm sprechen.«
»Was für ein Fremder?« fragte Covenant, wegen Bannors erhöhter Wachsamkeit sehr vorsichtig.
»Ur-Lord?«
»Ich meine, ist es ... jemand wie ich? Oder wie Troy?«
»Nein.«
In seiner Verwirrung fiel Covenant die
Weitere Kostenlose Bücher