Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
in seinen Atemzügen.
» Weil ich fühlen kann«, erwiderte er nach ein paar Schritten. »Und so was darf ich mir nicht leisten. Nun hör mal mir zu. Hör gut zu! Ich will versuchen, dir die Sache zu erklären, damit du endlich kapierst, was mit mir los ist. Wir wollen mal vergessen, daß unsere Anwesenheit hier einfach unmöglich ist ... es ist ausgeschlossen. Aber vergessen wir das vorerst mal. Hör zu! Ich bin leprakrank. Leprose ist keine an sich tödliche Krankheit, aber sie kann auf indirekte Weise das Leben kosten. Ich kann bloß ... jeder Leprakranke kann bloß am Leben bleiben, indem er sich in der ganzen Zeit, während jedes einzelnen Momentchens, darauf konzentriert, Verletzungen zu vermeiden ... oder falls er mal eine nicht vermeiden konnte, sie auf jeden Fall sofort zu behandeln. Das eine ... hör genau zu! Das eine, was ein Lepraleidender sich absolut nicht erlauben darf, ist Zerstreutheit. Das heißt, wenn er am Leben bleiben möchte. Sobald er in seiner Konzentration nachläßt, darüber nachzudenken anfängt, wie er sich das Dasein verschönern könne, oder herumzuträumen beginnt, wie das Leben vor seiner Erkrankung war, oder was er täte, könnte er geheilt werden, oder was wäre, wenn die Menschen wenigstens damit aufhörten, Lepraleidende zu verabscheuen« – er schleuderte die Worte Troy entgegen wie Steine – »dann ist er schon so gut wie tot. Dies ... dies Land – es bedeutet für mich Selbstmord. Es ist eine Flucht vor der Wirklichkeit, und ich kann's mir nicht mal leisten, mir über so eine Art von Flucht Gedanken zu machen, ganz davon zu schweigen, auf so was reinzufallen. Vielleicht kann ein Blinder so ein Risiko eingehen, aber ein Leprakranker nicht. Wenn ich in dieser Frage nachgebe, könnte ich dort, wo Zeit wirklich zählt, keinen Monat mehr durchstehen. Denn irgendwann muß ich ja in die Realität zurück. Drücke ich mich einigermaßen verständlich aus?«
»Ja«, sagte Troy. »Ja. Ich bin keineswegs dumm. Aber denk trotzdem noch einmal darüber nach. Falls es sich doch anders verhält, falls meine Meinung, daß das Land eine Realität ist, doch stimmt, dann zerstörst du unsere einzige Hoffnung. Und nicht ...«
»Ich weiß.«
»... nicht nur das. Etwas berücksichtigst du offenbar gar nicht. Der eine Gegenstand, der nicht in deine Hirngespinste-Theorie paßt, ist die Macht ... deine Macht. Weißgold. Wilde Magie. Dein verdammter Ring ändert alles. Du bist hier kein Opfer. Das hier ist nichts, was dir zugefügt wird. Du hast deine volle Verantwortung.«
»O nein«, brummte Covenant.
»Moment mal! Du kannst das nicht einfach abstreiten. Du bist auch für deine Träume verantwortlich, Covenant. Geradeso wie jeder andere.« Nein! Niemand hat seine Träume unter Kontrolle. Covenant versuchte, sein Gemüt mit eisiger Zuversicht zu erfüllen, aber längst vereiste eine andere Art von Kälte sein Herz vollkommen. Troy ließ nicht locker. »Zahlreiche Beweise sprechen dafür, daß das Weißgold haargenau das ist, wofür die Lords es halten. Was hat denn die Sperren zum Zweiten Kreis des Wissens durchbrochen? Wie sind die Feuerlöwen des Donnerbergs zu eurer Rettung heruntergerufen worden? Durchs Weißgold, das ist die Antwort. Du bist bereits im Besitz des Schlüssels zur Gesamtlösung.«
»Nein.« Es kostete Covenant große Mühe, seinem Widerstand ein Minimum an Nachdruck zu verleihen. »Nein. So ist die Sache nicht. Was das Weißgold hier im Lande bewirken kann, hat nichts mit mir zu schaffen. Ich stecke nicht dahinter. Ich kann's nicht einsetzen, nicht beeinflussen, ich kann damit gar nichts machen. Das ist nur noch so eine Zumutung, mit der man mich belästigt. Ich verfüge über keine Macht. Soviel ich weiß oder davon verstehe, kann diese wilde Magie genausogut morgen früh oder in fünf Sekunden loslegen und uns alle zum Teufel schicken. Sie könnte Foul zum König des Universums krönen, ob ich's will oder nicht. Mit mir hat das nichts zu tun.«
»Ist das Tatsache?« fragte Troy mißmutig nach. »Und weil du angeblich keine Macht hast, darf dir niemand für irgend etwas Verantwortung zumuten?«
Troys Tonfall lieferte Covenant etwas, gegen das er seinen Groll richten konnte. »Stimmt genau!« brauste er auf. »Ich will dir mal was sagen. Die einzige Person, die im Leben wirklich frei ist, endgültig frei, ist eine Person ohne Handlungsfähigkeit. Wie ich. Oder was hältst du für Freiheit? Unbegrenzte Macht? Unbeschränkte Möglichkeiten? Hölle und Verdammnis!
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