Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
auf der Erde Gipfel,
dem Donnerberg,
seine flammenmähnigen Löwen
hoben ihre Scheitel nicht
über die Grenzen, die mein Blick beschrieb,
die Ranyhyn,
seit Zeitenbeginn freien Hufs,
sprengten froh einher nach meinem Willen,
Riesen mit Armen wie aus Erz
von jenseits der Sonnengeburt im Meer
kamen zu mir in Schiffen gleich Burgen,
schlugen meine Feste
aus purem Erdenfelsen
und schenkten sie allein aus Freundschaft,
meine Lords, mir anvertraut, sie forschten,
um zu entdecken, zu erkennen
des Erdenschöpfers wahren Zweck,
Seiner Schöpfung verhohlen durch
des Zweckes Wirkungskräfte –
Kräfte im Fleisch und Bein des Landes,
eingeprägt durch der Schöpfung stetes Gesetz:
wie hätt' ich dort stehen können,
soviel Glanz und Herrlichkeit umfaßt
mit ausgestreckten Armen,
dort stehen,
Aug' in Auge mit dem Verächter,
und nicht voll Schrecken sein?«
Danach änderte sich das Lied, die Sängerin öffnete innere Kammern, um ihrer Stimme mehr Resonanz zu verleihen. In hohen, gedehnten Bogen von Gesang trug sie die Klage vor, durchsetzte und untermalte sie mit so vielen impliziten Harmonien, so vielen Andeutungen von Begleitstimmen, daß es schien, sie habe in sich einen ganzen Chor versammelt, der sich nur ihrer Kehle bediente.
»Wo ist die Macht, zu hüten
Schönheit vor des Daseins Modern?
Reine Wahrheit vor Aug und Trug?
Zu sichern Treu vorm tückisch Rost der Wirrung,
der verderbt?
Wie denn, macht Bosheit uns zu Zwergen?!
Was bäumen die Felsen sich auf
zur eignen Läuterung,
oder werden Staub aus Scham?
Schöpfer!
Als diesen Tempel Du entweihtest,
streiftest Bosheit
ab ins Land,
war's Dein Wille,
Schönheit und Wahrheit vollauf zu tilgen
vom Erdenrund?
Ist mein Geschick verflochten mit dem Gesetz des Lebens?
Bin ich ohne Hülf?
Sind mein Duldung,
Hinnahme,
Absegnung mit bitt'rem Verräterantlitz,
Aufsicht
über der Welt Untergang?«
Der Klang ihrer Stimme erfüllte die Luft mit Schmerz, als habe das Lied eine Wunde. An dieser Stelle erhoben sich die Zuhörer wie eine Brandung und sangen die letzten Zeilen gemeinsam empor an den grenzenlosen Himmel.
»Ach, Schöpfer!
Zeitenherr und Landerschaffer!
War's Dein Wille,
Schönheit und Wahrheit vollauf zu tilgen
vom Erdenrund?«
Bannor stand zwar wie die anderen auf, sang jedoch nicht mit. Covenant dagegen blieb sitzen, fühlte sich neben der Gemeinschaft Schwelgensteins klein und nutzlos. Das einmütige Empfinden fand seinen Höhepunkt im Refrain, drückte tiefe Trauer aus, flutete am Ende über das Amphitheater mit einer Woge des Friedens, die das Lied von seiner Verzweiflung reinwusch und heilte, als sei die vereinte vielstimmige Kraft des Gesangs Antwort genug auf Kevins Notschrei. Indem die Menschen aus Verzweiflung sangen, widerstanden sie ihr. Aber Covenant war anders zumute. Er begann die Gefahr zu begreifen, die dem Lande drohte. Deshalb blieb er sitzen, rupfte an seinem Bart und stierte blicklos vor sich hin, während die Zuhörer das Amphitheater räumten, ihn unter der warmen Helligkeit der Sonne allein zurückließen. Er hockte da und brabbelte finster für sich herum, bis er bemerkte, daß Hile Troy sich neben ihm eingefunden hatte.
»Ich habe nicht erwartet«, sagte der Streitmark, als er aufsah, »dich hier anzutreffen.«
»Ich habe nicht mit dir gerechnet«, entgegnete Covenant schroff. Aber er befaßte sich nur beiläufig mit Troy. Er versuchte noch immer, aus dem Fall Kevin klug zu werden.
»Alles bringt uns immer wieder zurück auf Kevin«, sagte der Streitmark, als könne er Covenants Gedanken belauschen. »Er hat die Sieben Kreise des Wissens geschaffen. Er gab die Inspiration zur Begründung des Bluthütertums. Er hat das Ritual der Schändung abgezogen. Und dabei war's nicht nötig ... oder jedenfalls nicht unvermeidlich. Man hätte ihn nicht so weit treiben können, wäre sein großer Fehler nicht schon vorher geschehen gewesen.«
»Sein großer Fehler ...«, grummelte Covenant.
»Er hatte Foul in den Großrat aufgenommen, ihn zum Lord gemacht. Er konnte Fouls Tarnung nicht durchschauen. Und danach war's zu spät. Zu dem Zeitpunkt, als Foul die Maske fallenließ und zum offenen Krieg überging, hatte er so viele raffinierte Verrätereien begehen können, daß er unschlagbar war. Die meisten normalen Menschen, glaube ich, wählen in solchen Situationen als Ausweg den Selbstmord. Aber Kevin war nun einmal kein normales Menschlein – er besaß zuviel Macht, wenn sie in dem
Weitere Kostenlose Bücher