Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Bannor lenkte ihn bald in andere Korridore. Sie benutzten eine schmale, aber schwere Tür, in einem der Versammlungssäle hinter einem Vorhang verborgen, und stiegen über eine ausgedehnte Wendeltreppe in einen tiefen, Covenant noch völlig unbekannten Teil der Herrenhöh hinunter. Die Treppe mündete in eine Reihe von Gängen von solcher Düsternis und Unregelmäßigkeit, bis er über seinen Aufenthaltsort nicht mehr wußte, als daß er außerordentlich tief im Untergestein Schwelgensteins war – tiefer sogar als die Privatgemächer der Lords lagen. Nach kurzer Zeit jedoch blieb Bannor vor einer kahlen steinernen Wand stehen. Im schwachen Schein einer Fackel streckte er der Wand seine Arme entgegen, als beschwöre er sie, und sprach drei Wörter in einer Sprache, die seiner Zunge merklich schwerfiel. Als er seine Arme senkte, ließ sich eine Tür erkennen. Sie schwang einwärts und gewährte dem Bluthüter und Covenant Zutritt in eine hohe, helle Kaverne. Die Erbauer Schwelgensteins hatten in dieser geräumigen Höhle wenig an Gestaltung oder bloß Bearbeitung vorgenommen. Der Fußboden war geglättet, aber der bloße, schroffe Stein an Wänden und Decke unangetastet gelassen worden; auch die dicken, groben Säulen, die eindrucksvoll darin aufragten wie umfangreiche Baumstämme, vom Boden bis zur Decke reichten und deren Gewicht auf ihren Schultern trugen, waren unverändert geblieben. Die gesamte Höhle war jedoch von großen, zwischen den Säulen aufgestellten Gefäßen voller Glutgestein so erhellt, daß sie alle Flächen der Wände und Säulen klar ausleuchteten. An allen diesen Flächen waren Kunstwerke ausgestellt. Gemälde und Gobelins hingen an den Wänden; auf Sockeln zwischen den Säulen und Gefäßen ruhten große Skulpturen und Schnitzereien; kleinere Stücke, Schnitzarbeiten, Statuetten, Steinmetzerzeugnisse und Werke der Suru-pa-maerl befanden sich auf hölzernen Regalen, geschickt an den Säulen befestigt.
In seiner Faszination vergaß Covenant völlig die Frage, warum er hierhergebracht worden war; er schlenderte durch den Raum, schaute sich in lebhaftem Interesse um. Zuerst galt seine Aufmerksamkeit den kleineren Kunstgegenständen. Manche davon schienen auf irgendeine Weise aktionsgeladen zu sein, eine immanente Wärme gespeichert zu haben, als seien sie im Moment einer Inkarnation geformt worden; und die Vielfalt der verwendeten Materialien und ausgedrückten Emotionen war gewaltig. Wo die Eichenholzfigur einer Frau mit Säugling fürsorglich den Kummer und das Weh von Kindern beklagte, strahlte ein ähnlicher granitener Gegenstand selbstbewußte Fortpflanzungskraft aus; wo eine blankpolierte Güldenblattholz-Flamme emporbrauste, vermittelte eine Lohe der Suru-pa-maerl einen Eindruck von Behaglichkeit und häuslicher Wärme. Kunsthandwerkliche Studien von Kindern, Ranyhyn und Riesen überwogen, aber verstreut waren dunklere Darstellungen darunter – vierschrötige Urböse, starke und schlichtmütige Höhlenschrate, auch der wahnwitzgepeitschte, heldenhaft kühne Kevin, durch seine nackte Verzweiflung zwar um Urteilsklarheit und Weitsicht gebracht, aber nicht um Tapferkeit oder Leidenschaft.
Unter all den Kunstwerken gab es kaum naturalistische Abbilder; die benutzten Materialien waren ungeeignet zu kopiehafter Widerspiegelung oder Formalismus. Bannor blieb hinter Covenant, während er zwischen den Säulen einherwanderte.
»Das ist die Halle der Geschenke«, sagte der Bluthüter schließlich. »Alle diese Dinge sind von Bewohnern des Landes gemacht und den Lords geschenkt worden. Oder Schwelgenstein.« Mit ungerührtem Blick schaute er umher. »Man hat aus Liebe oder zur Ehrung geschenkt. Oder um seine Kunst zu zeigen. Aber die Lords begehren keine Geschenke. Sie wenden ein, dergleichen dürfe niemand für sich besitzen. Alle Werte entstehen aus dem Land und gehören dem Land. Deshalb werden alle Gaben, welche die Lords erhalten, hier aufgestellt, damit jeder, der's wünscht, sie betrachten kann.«
Aber Covenant hörte sehr tief in Bannors Stimme etwas heraus. Ungeachtet ihres monotonen Klangs schien sie eine Andeutung jener geheimen, unwiderlegbaren Ergebenheit zu artikulieren, die die Bluthüter an die Lords band. Doch Covenant ging nicht näher darauf ein, verzichtete aufs Einhaken. Von einer der vorderen Säulen lenkte ihn ein großflächiger, dicker Gobelin an einer der Höhlenwände ab. Er erkannte ihn. Es handelte sich um dasselbe Stück, das er einmal zu vernichten versucht hatte. In
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