Der siebte Kristall
es euch und mir einfacher, wenn ihr mir von ihm erzählt.«
Der Anführer sprang auf.
»Du hättest das Auge nicht, wenn du es nicht geraubt hättest! Wie sollen wir deinen Worten glauben? Wir vergeuden nur unsere Zeit, wenn wir…!«
»Setz dich wieder hin!« antwortete Mythor mit der gleichen Heftigkeit. »Wenn ihr das Auge haben wollt, bleibt euch gar nichts anderes übrig, als mir zu glauben. Ihr habt gesehen, wie sinnlos eure Angriffe waren.
Versucht es noch einmal, und meine Gefährten werden das Auge dem Daihn übergeben! Wir wollen Frieden mit euch, und ich sage dies zum letztenmal!«
Der Schamane machte dem anderen ein Zeichen. Widerstrebend ließ das Stammesoberhaupt sich abermals nieder. Der Schamane legte sich eine Hand auf die Brust und sagte:
»Ich bin Huij. Verüble Kjobo seinen Argwohn nicht. Wir haben eingesehen, daß wir einen Fehler machten. So laß uns reden.«
»Deshalb bin ich hier«, knurrte Mythor.
»Es war vor einer Zeit, in der der kleine Bruder der Sonne in den Ländern jenseits der Düsternis fast zwanzigmal sein Antlitz von der Welt abwandte«, begann Huij. Mythor hätte vieles dafür gegeben, in des Schamanen Gedanken lesen zu können. Zwanzig Mondwechsel fast – das bedeutete etwa anderthalb Jahre. Vor anderthalb Jahren aber war es geschehen, daß das DRAGOMAE barst und seine Teile in alle Winde zerstreut wurde. »Eine Gruppe unserer Jäger fand den Kristallstein weitab unserer Siedlung. Die Männer brachten ihn mir, und ich erkannte sogleich die Macht, die in ihm wohnte. Der Stein wurde zum Heiligtum unseres Stammes. Andere hörten von unserem Schatz und trachteten danach, ihn für sich zu erobern. Doch da erwies sich die Kraft des Kristalls. Er gab uns die Klugheit, den Mut und die Stärke, alle Angriffe abzuwehren. Er schützte uns und gab, daß unsere Jäger fortan mit reicherer Beute als jemals zuvor heimkehrten.« Huij senkte den Blick. Seine Stimme wurde leise. »Wie konnten wir damals auch ahnen, daß wir das Auge des Vuhjoon in unseren Besitz gebracht hatten.«
»Wer ist Vuhjoon?«
Kjobo lachte rauh, wagte es jedoch nicht, den Schamanen zu unterbrechen.
»Vuhjoon ist ein mächtiger Dämon. Er beherrscht diesen Teil unserer Welt, mischte sich aber nicht in die Belange der Freven ein, bis er herausfand, daß wir im Besitz des Steines waren. Da erhob er seine Stimme und verlangte sein Auge zurück. Gehorchten wir nicht, so drohte er uns damit, alle Freven zu vernichten.«
»Und er wird es tun!« rief Kjobo aus. »Seine Macht ist gewaltig, und furchtbar sein Zorn!«
»Aber ihr habt ihm doch seinen Willen getan?« fragte Mythor.
»Wir wollten es«, gab Huij zu. »Soviel der Stein unserem Stamm bedeutete, so sehr fürchteten wir doch Vuhjoons Rache. Ich selbst machte mich dazu bereit, Vuhjoon sein Auge zu bringen, doch als ich ging, um es zu holen…«
»… war das Auge verschwunden!« schrie Kjobo. »Gestohlen von euch!«
Blitzschnell fuhr seine Hand zum Wurfmesser im Lendenschurz. Er hatte es noch nicht einmal herausgezogen, als Altons Spitze seinen Hals berührte.
»Du nennst uns nicht noch einmal Diebe!« sagte Mythor scharf. »Wir sind weder jemals einem Freven begegnet, noch führte unser Weg an euren Dörfern vorbei! Wie der Kristall in unseren Besitz gelangte, darüber sind wir euch keine Rechenschaft schuldig! Es mag sein, daß ihn jene verloren, die ihn entwendeten. Wir fanden ihn und haben ihn jetzt. Soll Vuhjoon die Freven nicht auslöschen, so überlegt euch, was ihr für ihn anzubieten habt!«
Kjobo starrte ihn haßerfüllt an. In Huijs Augen stand dagegen die nackte Angst geschrieben.
Mythor bekam Mitleid mit den Freven. Er war bereit, Tobar zu glauben, daß sie im Grunde friedfertig waren und nur aus Angst vor dem Dämon den Verstand verloren hatten. Und er dachte bereits viel weiter.
Shaya hatte es vorausgesagt.
Keiner der sechs erbeuteten DRAGOMAE-Kristalle konnte sich jemals im Besitz der Freven befunden haben, wenn ihnen das angebliche Auge Vuhjoons erst vor kurzer Zeit geraubt worden war. Dann aber mußte es sich dabei um den verheißenen siebten Stein handeln.
Mythor war mit ganz bestimmten Vorstellungen auf die Landscholle gekommen. Nun erwies es sich, daß die Freven ihm noch weit mehr zu geben hatten als nur den Schutz gegen den lebenden Sumpf.
Außerdem reifte in ihm ein Verdacht, wer der Dämone Vuhjoon in Wahrheit sein konnte.
Alles hing nun davon ab, ob sich Huijs Vernunft gegen die Verblendung des Stammesführers durchzusetzen
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