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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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seinem Mündel spazieren, dem Knaben Arthur Stuart, und unterhielt sich mit ihm entweder über tiefschürfende philosophische Fragen oder die beste Methode für Reisende, Bohnen zu kochen, was genau, daran kann ich mich nicht mehr erinnern, als sie auf eine Lichtung kamen, wo ein Mann auf den Hacken kauerte und zu einem Baum aufschaute. Abgesehen von dem unnatürlichen Grinsen, das auf seinem Gesicht lug, war für die Zeit und den Ort wenig Bemerkenswertes an ihm. Er trug Hirschleder und eine Mütze aus Waschbärenfell auf dem Kopf und hatte eine Muskete griffbereit im Gras liegen - viele derart junge und ungestüme Männer trieben sich in jenen Tagen auf den Wildpfaden der unbesiedelten Wälder herum.
    Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, war das östliche Kenituck so unbesiedelt damals gar nicht, und die meisten Männer trugen im Sommer Baumwolle statt Hirschleder, wenn sie nicht so arm waren, daß sie sich keine leisten konnten. Also lag es vielleicht doch teilweise an seinem Äußeren, daß Alvin wie angewurzelt stehenblieb und den Burschen ansah. Arthur Stuart machte natürlich immer genau das, was Alvin auch machte, bis er einen guten Grund dazu hatte, etwas anderes zu tun, daher blieb auch er am Rand der Lichtung stehen, verstummte ebenfalls und sah hin.
    Der grinsende Mann hatte den Blick auf die mittleren Zweige einer struppigen alten Kiefer gerichtet, die von den langsamer wachsenden Laubbäumen allmählich erstickt wurde. Aber er grinste nicht den Baum an, nein, Sir. Sondern den Bären.
    Wie jedermann weiß, gibt es Bären und Bären. Einige kleine alte Braunbären sind etwa so gefährlich wie ein Hund - was bedeutet, wenn man einen mit einem Stock haut, dann bekommt man, was man verdient, aber ansonsten läßt er einen in Ruhe. Aber bei einigen Schwarzbären und Grizzlys stellt sich das Rückenfell auf, so daß sie stachelig wie Stachelscheine aussehen, und das verrät dir, daß sie geradezu auf einen Kampf brennen und nur hoffen, daß du ein falsches Wort zu ihnen sagst, damit sie dir den Kopf abschlagen und dir dein Mittagessen aus dem Hals lutschen können. Wie ein besoffener Flußschiffer.
    So ein Bär war das. Vielleicht ein bißchen alt, aber so stachelig, wie´s nur geht, und er saß auch nicht auf diesem Baum, weil er Angst hatte, sondern weil er Honig wollte, von dem es dort reichlich gab, genau wie Bienen, die inzwischen so erschöpft von den Versuchen waren, durch den verfilzten Pelz zu stechen, daß sie überwiegend tot und völlig ausgestochen waren. Gesummt wurde freilich noch tüchtig, wie ein Chor von Leuten, die den Text eines Kirchenlieds nicht wissen und deshalb die Melodie einfach mitsummen, aber die Bienen schienen nicht einmal die Melodie richtig zu kennen.
    Und da saß dieser Mann und grinste den Bären an. Und da saß der Bär, schaute zu ihm herab und zeigte die Zähne.
    Alvin und Arthur standen einige Minuten da und sahen zu, aber das Stilleben veränderte sich nicht. Der Mann hockte am Boden und grinste hinauf; der Bär kauerte auf seinem Ast und grinste herunter. Keiner ließ nur das geringste Anzeichen dafür erkennen, daß er die Anwesenheit von Alvin und Arthur bemerkt hatte.
    So kam es, daß Alvin das Schweigen brach. »Ich weiß nicht, wer den Häßlichkeitswettbewerb angefangen hat, aber ich weiß, wer ihn gewinnen wird.«
    Ohne mit dem Grinsen aufzuhören, sagte der Mann zwischen zusammengebissenen Zähnen: »Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen nicht die Hände schüttle, aber ich bin schwer damit beschäftigt, diesen Bären niederzugrinsen.«
    Alvin nickte weise - das schien durchaus eine wahrheitsgemäße Behauptung zu sein. »Und wie es aussieht«, sagte Alvin, »denkt dieser Bär, daß er Sie auch niedergrinst.«
    »Soll er denken, was er denken will«, sagte der grinsende Mann. »Er kommt von diesem Baum runter.«
    Arthur Stuart, der noch jung war, zeigte sich beeindruckt. »Das können Sie nur durch Grinsen erreichen?«
    »Du solltest nur hoffen, daß ich dich niemals angrinse«, sagte der Mann. »Ich würde deinem Meister wirklich nur ungern den Kaufpreis für einen so klugen Schwarzmohr wie dich bezahlen müssen.«
    Viele hielten Arthur Stuart irrtümlicherweise für einen Sklaven. Er war ein Mulatte, nicht wahr? Und südlich des Hio lag das Sklavenland, wo ein schwarzer Mann entweder das Eigentum von jemand war, gewesen war oder so sicher wie das Amen in der Kirche das Eigentum von jemand werden würde. Aus Sicherheitsgründen widersprach Alvin dieser

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