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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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konnte, aber er konnte die Herzfeuer selbst erkennen und den Überblick behalten, wer wer war. Da er wußte, daß keine Kugel ihn töten und kein Gefängnis ihn halten konnte, war Alvin absichtlich in die Stadt Westville gekommen, weil er wußte, daß Davy Crockett durch die Stadt gereist war, dicht gefolgt von dem Bären, aber das konnte Davy nicht wissen, zu dem Zeitpunkt nicht.
    Aber jetzt wußte er es. In Racks Mühle hatte Alvin gesehen, daß Davy und der Bär einander wieder begegnet waren, und diesmal konnte die Sache etwas anders ausgehen. Denn Alvin hatte die Stelle tief drinnen in den Teilchen des Körpers gefunden, wo die Kniffe ihren Ursprung hatten, und er hatte den besten Kniff des Bären genommen und Davy im selben Maß gegeben, und er hatte Davys besten Kniff genommen und den Bären im selben Maß damit ausgestattet. Nun waren sie einander ebenbürtig, und Alvin überlegte sich, daß er die Verantwortung dafür trug, darauf zu achten, daß niemand verletzt wurde. Immerhin war es zum Teil Alvins Schuld, daß Davy kein Gewehr mehr hatte, um sich zu verteidigen. Zum größten Teil war es natürlich Davys Schuld, weil er das Gewehr auf ihn gerichtet hatte, aber Alvin hätte das Gewehr nicht auf diese Weise unbrauchbar machen und den Lauf zerreißen müssen.
    Alvin, der leichtfüßig durch den Wald rannte, über einen oder zwei Bäche sprang und einmal an einem Flußufer Rast machte, um dort wachsende wilde Erdbeeren zu essen, erreichte die Stelle vor Einbruch der Nacht, daher hatte er genügend Zeit, sich kundig zu machen. Da waren sie, auf der Lichtung, genau wie Alvin erwartet hatte, Davy und der Bär, keine fünf Schritte voneinander entfernt; beide grinsten, versuchten einander mit Blicken niederzuringen, keiner wich. Der Bär war ganz stachelig, kam aber nicht an Davys Grinsen vorbei; und Davy besaß die einfältige Entschlossenheit des Bären und war unempfindlich gegen Schmerzen, daher hörte er nicht auf zu grinsen, obwohl sein Hintern wund war und er vor Müdigkeit fast den Verstand verlor.
    Als die Sonne gerade unterging, trat Alvin hinter dem Bären auf die Lichtung. »Haben Sie einen Ebenbürtigen gefunden, Davy?« fragte er.
    Davy konnte kein Quentchen Konzentration für ein Gespräch erübrigen. Er grinste einfach weiter.
    »Ich glaube, dieser Bär hat nicht die Absicht, dieses Jahr Ihr Wintermantel zu werden«, sagte Alvin.
    Davy grinste nur.
    »Tatsächlich«, sagte Alvin, »schätze ich, wer von euch beiden als erster einschläft, der wird der Verlierer sein. Und Bären schlafen den Winter über so viel, daß sie im Sommer einfach nicht besonders viel Schlaf brauchen.«
    Grinsen.
    »Da sind also Sie und können kaum noch die Augen offenhalten, und da ist der Bär, putzmunter und fidel, und grinst Sie voll aufrichtiger Liebe und Hingabe an.«
    Grinsen. Vielleicht mit etwas mehr Verzweiflung um die Augen herum.
    »Aber auf eines kommt es an, Davy«, sagte Alvin. »Bären sind meistens besser als Menschen. Manchmal hat man böse Bären und gute Menschen, aber im Durchschnitt traue ich einem Bären eher zu, daß er das Richtige tut, als einem Menschen. Sie sollten sich daher jetzt fragen, was wird dieser Bär dort für das Richtige halten, das er mit Ihnen anstellen sollte, wenn er Sie erst einmal niedergegrinst hat?«
    Grinsen Grinsen Grinsen.
    »Bären brauchen keine Mäntel aus Menschenhaut. Sie müssen sich Speck für den Winter zulegen, aber im allgemeinen fressen sie dafür kein Fleisch. Jede Menge Fische, aber Sie sind kein Schwimmer, und das weiß der Bär. Außerdem betrachtet dieser Bär Sie nicht als Fleisch, sonst würde er Sie nicht so angrinsen. Er betrachtet Sie als Rivalen. Er betrachtet Sie als ebenbürtig. Was wird er tun? Fragen Sie sich das nicht auch? Ist kein Fünkchen Neugier in Ihnen, das die Antwort auf diese Frage einfach wissen will?«
    Es wurde allmählich dunkler, daher war es schwer, von Davy wie auch von dem Bären mehr zu erkennen als ihre weißen, weißen Zähne. Und ihre Augen.
    »Sie sind schon eine ganze Nacht wach gewesen«, sagte Alvin. »Schaffen Sie das noch einmal? Ich glaube nicht. Ich glaube, Sie werden bald erfahren, wie barmherzig Bären sind.«
    Erst jetzt, in den letzten verzweifelten Augenblicken, ehe er einschlief, wagte Davy zu sprechen. »Helfen Sie mir«, sagte er.
    »Und wie sollte ich das tun?«
    »Töten Sie diesen Bären.«
    Alvin trat ruhig hinter den Bären und legte ihm behutsam die Hand auf die Schulter. »Warum sollte ich das tun?

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