Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Wunsch mit Freuden nach«, sagte Rack.
    »Dann müßten Sie aber erklären, wie ich zu Tode gekommen bin. Das heißt, wenn Sie es schaffen, den Bären mit einem Schuß zu töten. Manchmal können diese Bären ein halbes Dutzend Kugeln wegstecken und einem Mann trotzdem den Kopf von den Schultern hauen und am Nachmittag Fische fangen gehen. Viel Fett, viel Muskeln. Und wie ist es überhaupt um Ihre Schießkünste bestellt?«
    Und so kam es, daß die Waage am nächsten Morgen immer noch Racks Absichten zuwider wog, und so ging es Tag für Tag, bis die Ernte vorüber war. Jeden Tag aßen der Bär und sein Diener ihren Maisbrei und ihr Maisbrot und tranken ihr Maisbier und lagen im Schatten, während sich Zuschauer versammelten, um das Wunder zu bestaunen. Aus diesem Grund waren den ganzen Tag Zeugen zugegen - und nachts selten weit entfernt. Und genauso sah es aus, wenn die Käufer kamen, um den Mais abzutransportieren.
    Und die Geschichten über den Bären, der einen Menschen gezähmt hatte, riefen nicht nur Schaulustige auf den Plan. Mehr Farmer als üblich kamen zu Rack Miller, um ihren Mais zu verkaufen, damit sie es mit eigenen Augen sehen konnten; und mehr Käufer nahmen den Umweg auf sich und kamen, so daß das Geschäft etwa um die Hälfte besser lief als sonst. Am Ende der Erntezeit saß Rack Miller mit einem Hauptbuch da, in dem ein dicker Verlust ausgewiesen war. Die Käufer bezahlten ihm längst nicht genug, um auszugleichen, was er den Farmern schuldete. Er war ruiniert.
    Er trank einige Krüge Maisbier und machte lange Spaziergänge, aber Ende Oktober hatte er jede Hoffnung aufgegeben. Einmal veranlaßte ihn seine Verzweiflung, sich eine Pistole an den Kopf zu halten und abzudrücken, aber aus irgendeinem Grund zündete das Schießpulver nicht, und als Rack versuchte, sich aufzuhängen, konnte er keinen Knoten binden, der hielt. Da es ihm nicht einmal gelang, Selbstmord zu begehen, gab er auch dieses Projekt schließlich auf, machte sich mitten in der Nacht davon und ließ Mühle und Hauptbuch zurück. Nun, eigentlich wollte er sie nicht einfach so zurücklassen, sondern niederbrennen, aber die Feuer, die er entfachen wollte, gingen immer wieder aus, und so war auch das ein Projekt, mit dem er scheiterte. Am Ende ging er mit den Kleidern, die er am Leib trug, und zwei Gänsen unter den Armen - und die schnatterten derart laut, daß er sie freiließ, ehe er die Stadt verlassen hatte.
     
    Als klar wurde, daß Rack nicht nur in Urlaub gegangen war, trafen sich die Stadtbewohner und einige der bedeutenderen Farmer aus der Umgegend in Rack Millers leerstehendem Haus und gingen sein Rechnungsbuch durch. Was sie daraus erfuhren, verriet ihnen deutlich genug, wie unwahrscheinlich es war, daß Rack Miller zurückkommen würde. Sie teilten die Verluste zu gleichen Teilen untereinander auf, und es stellte sich heraus, daß niemand etwas verlor. Oh, die Farmer bekamen weniger Geld, als in Rack Millers Hauptbuch stand, aber sie bekamen dennoch deutlich mehr als in früheren Jahren, und darum war es immer noch ein gutes Jahr für sie. Und als sie das Anwesen untersuchten, fanden sie den Mechanismus in der Waage, und danach war das Bild kristallklar.
    Alles in allem, entschieden sie, waren sie ohne Rack Miller besser dran, und ein paar Leute wurden den Verdacht nicht los, daß Alvin Smith und sein Mulattenjunge den betrügerischen Müller entlarvt hatten. Sie versuchten sogar herauszufinden, wo die beiden steckten, um ihnen aus Dankbarkeit die Mühle anzubieten. Jemand hatte gehört, daß sie aus Vigor Church in Wobbish kamen, und ein Brief dorthin führte sogar zu einem Ergebnis - einem Antwortschreiben von Alvins Vater. »Mein Junge dachte sich, daß Sie vielleicht ein derartiges Angebot unterbreiten würden, aber er bat mich, Ihnen einen besseren Vorschlag zu machen. Er sagte, da ein Mensch seinen Job als Müller so schlecht erledigt hat, wären Sie mit einem Bären vielleicht besser beraten, besonders, wenn der Bär einen Menschendiener hat, der ihm die Bücher führen kann.«
    Zuerst lachten sie über den Vorschlag, aber nach einer Weile fanden sie Gefallen daran, und als sie Davy und dem Bären den Posten anboten, nahmen die beiden ihn an. Der Bär bekam soviel Mais, wie er wollte, ohne jemals einen Finger dafür zu krümmen, davon abgesehen, daß er den Leuten zur Erntezeit eine kleine Vorstellung präsentieren mußte, und im Winter konnte er an einem warmen, trockenen Plätzchen schlafen. In den Jahren, wenn er

Weitere Kostenlose Bücher