Der siebte Schrein
gefunden wurde.«
»Das kann ich bezeugen«, sagte Nascimonte mit einem übertriebenen jovialen Zwinkern. »Wißt Ihr, vor langer Zeit habe ich selbst einmal ein bißchen hier gebuddelt. Als Grabjäger, auf der Suche nach verborgenen Schätzen, die ich irgendwo würde verkaufen können, als ich während der Herrschaft des falschen Lord Valentine von meinem Land vertrieben worden war und wie ein Bandit in dieser Wüste leben mußte. Aber wir haben kein einziges Grab gefunden. Nicht eines.«
»Auch wir haben keins entdeckt, obwohl wir es versucht haben«, sagte Magadone Sambisa. »Diese Stätte haben wir nur durch reinen Zufall gefunden. Sie lag tief unter den Dünen verborgen, drei, vier, sechs Meter unter der Oberfläche des Sandes. Niemand ahnte, daß sie hier war. Aber eines Tages im letzten Winter fegte ein schrecklicher Wirbelsturm über das Tal hinweg und tobte fast eine halbe Stunde über diesem Stadtteil, und als er mit Wirbeln fertig war, da war die ganze Düne abgetragen und anderswo hingeweht worden, und diese erstaunliche Sammlung von Grabsteinen war freigelegt. Hier. Seht!«
Sie kniete nieder und strich eine dünne Sandschicht vom Sockel eines Grabsteins dicht vor ihr weg. Wenig später konnte man ein Kästchen aus poliertem grauem Stein erkennen. Sie zog es heraus und stellte es auf eine Seite.
Tunigorn gab ein Geräusch des Abscheus von sich. Valentine schaute nach unten und sah so etwas wie ein gekrümmtes Stück dunklen Leders in dem Kästchen liegen.
»So sind sie alle«, sagte Magadone Sambisa. »Ein symbolisches Begräbnis, das ein Minimum an Platz braucht. Ein logisches System, wenn man bedenkt, wie viele Leute zu seiner Blütezeit in Velalisier gelebt haben müssen. Ein winziges Stück vom Körper des Toten wurde hier begraben, so kunstvoll erhalten, daß es selbst nach den vielen Jahrtausenden noch in einem ausgezeichneten Zustand ist. Möglicherweise wurde der Rest draußen auf den Hügeln vor der Stadt ausgelegt, damit die natürlichen Verwesungsprozesse ihren Lauf nehmen konnten. Der Leichnam eines Piurivar dürfte sehr schnell verwest sein. Nach der langen Zeit würden wir keine Spur mehr davon finden.«
»Wie sieht es im Vergleich mit heutigen Begräbnispraktiken der Gestaltwandler aus?« fragte Mirigant.
Magadone Sambisa sah ihn seltsam an. »Wir wissen so gut wie gar nichts über die heutigen Begräbnispraktiken der Piurivar. Sie sind eine ziemlich verschlossene Rasse, wißt Ihr. Sie haben sich nie dafür entschieden, uns so etwas mitzuteilen, und wir waren offenbar zu höflich, um danach zu fragen, da es praktisch keine Unterlagen darüber gibt. Praktisch keine.«
»In Ihrem Mitarbeiterstab sind Gestaltwandler«, sagte Tunigorn. »Es wäre doch gewiß nicht unhöflich, Ihre Kollegen nach so etwas zu fragen. Welchen Sinn hätte es, Gestaltwandler zu Archäologen auszubilden, wenn man so sehr auf ihre Gefühle achten muß, daß man sie nicht fragen kann, was sie über die Gepflogenheiten ihres eigenen Volkes wissen?«
»Tatsächlich«, sagte Magadone Sambisa, »habe ich mich mit Dr. Huukaminaan über diese Entdeckung nicht lange nach der Freilegung unterhalten. Die Anlage des Friedhofs, die dichtgedrängten Gräber, schienen ihn ziemlich zu verwirren. Aber der Brauch, Körperteile statt der ganzen Toten zu begraben, schien ihn nicht zu überraschen. Er gab nur zu verstehen, daß das, was hier getan worden war, sich in einigen Aspekten nicht sehr von dem unterscheidet, was die Piurivar heute noch tun. Aber er hatte gerade keine Zeit, näher ins Detail zu gehen, und wir beide ließen das Thema zunächst fallen. Und jetzt - jetzt . . .«
Wieder nahm sie die Miene äußerster Hilflosigkeit an, ein von Vergeblichkeit und Verwirrung geprägter Ausdruck im Angesicht des gewaltsamen Todes, der sie jedesmal überkam, wenn das Thema der Ermordung Huukaminaans zur Sprache kam.
Sich in einigen Aspekten nicht sehr von dem unterscheidet, was die Piurivar heute noch tun, wiederholte Valentine für sich.
Er dachte daran, wie Huukaminaans Leichnam zerstückelt worden war, an die Einzelteile, die man an verschiedenen Stellen der Opferplattform zurückgelassen hatte, und an den Kopf, der in den Tunnel unter der Siebten Pyramide getragen und sorgsam in einem der Alkoven des unterirdischen Schreins zur Ruhe gebettet worden war.
Dieser grausige Akt der Verstümmelung hatte etwas so unversöhnlich Fremdes, daß Valentine erneut zu der rätselhaften und mißliebigen, aber anscheinend unausweichlichen
Weitere Kostenlose Bücher