Der siebte Schrein
lautstark genug protestiert hätten. Aber ihn hätte nichts aufgehalten.«
»Aber der Schrein wurde dennoch geöffnet«, sagte Valentine.
»Ja, aber nur, weil Ihr hergekommen seid. Sonst wäre die Ausgrabung beendet worden. Der Aufschrei wegen Huukaminaans Tod hätte der ganzen Welt bewiesen, daß der Fluch dieses Ortes immer noch Macht hat. Ihr seid gekommen und habt den Schrein geöffnet, aber der Fluch wird Euch vernichten, so wie er vor langer Zeit Pontifex Ghorban vernichtet hat.«
»Es gibt keinen Fluch«, sagte Valentine ruhig. »Dies ist eine Stadt, die viele Tragödien gesehen hat, aber es gibt keinen Fluch, nur ein Mißverständnis auf das nächste gehäuft.«
»Die Schandtat . . .«
»Es gab auch keine Schandtat, nur ein Opfer. Die Zerstörung der Stadt durch die Leute aus den Provinzen war ein schrecklicher Fehler.«
»Demnach versteht Ihr unsere Geschichte besser als wir, Pontifex?«
»Ja«, sagte Valentine. »So ist es.« Er wandte sich von dem Schamanen ab und sagte zum Vorarbeiter des Dorfes gewandt: »Vathiimeraak, es leben Mörder in Eurer Siedlung. Ich weiß, wer sie sind. Geht in Euer Dorf und verkündet allen, wenn die Schuldigen vortreten und ihr Verbrechen gestehen, wird ihnen vergeben werden, nachdem ihre Seelen vollständig geläutert wurden.«
Als nächstes wandte er sich an Lisamon Hultin und sagte: »Was den Khivanivod angeht, möchte ich, daß er den Beamten der Danipur übergeben und vor deren Gericht angeklagt wird. Dies fällt in ihren Zuständigkeitsbereich. Und dann . . .«
»Majestät!« rief jemand. »Vorsicht!«
Valentine wirbelte herum. Die Skandarwachen waren von dem Khivanivod abgerückt und starrten ihre zitternden Hände an, als wären sie in einem Feuerofen verbrannt worden. Torkkinuuminaad, von ihrem Griff befreit, näherte das Gesicht dem Valentines. Seine Miene war diabolisch verzerrt.
»Pontifex!« flüsterte er. »Schaut mich an, Pontifex! Schaut mich an!«
Valentine, der völlig überrascht war, hatte keine Möglichkeit, sich zu verteidigen. Eine seltsame Taubheit war bereits über ihn gekommen. Torkkinuuminaad veränderte seine Gestalt und durchlief eine Reihe grotesker Veränderungen mit derartiger Schnelligkeit, daß er ein Dutzend Arme und Beine gleichzeitig zu haben schien, und ein halbes Dutzend Körper; und er wob eine Art Zauber. Valentine verfing sich darin wie ein Falter im listig gewobenen Netz einer Spinne. Die Luft vor ihm schien zäh und trüb zu sein, und wie aus dem Nichts war ein Wind aufgekommen. Valentine stand perplex da und versuchte, den Blick von den feurigen Augen des Khivanivod abzuwenden, aber es gelang ihm nicht. Auch fand er nicht die Kraft, nach den beiden Drachenzähnen zu greifen, die zu seinen Füßen lagen. Er stand benommen und wie erstarrt da und schwankte. Er hatte ein brennendes Gefühl in der Brust und mußte sich anstrengen, auch nur Luft zu holen.
Überall um ihn herum schienen Phantome zu lauern.
Ein Dutzend Gestaltwandler . . . hundert, tausend . . .
Verzerrte Gesichter. Böse Blicke. Zähne; Klauen; Messer. Eine Horde ungestüm wirbelnder Mörder, die ihn umringten, tanzten, hüpften, sich drehten, zischten, ihn verspotteten, höhnisch seinen Namen riefen -
Er war verloren in einem Wirbelwind uralter Zauberei.
»Lisamon?« rief Valentine bestürzt. »Deliamber? Helft mir - helft . . .« Aber er war sich nicht sicher, ob ihm die Worte wirklich über die Lippen gekommen waren.
Dann sah er, daß seine Leibwächter die Gefahr tatsächlich gesehen hatten. Deliamber, der erste, der reagierte, kam rasch hinzu und bewegte seine zahlreichen Tentakel hastig zu einem Gegenzauber, einer Abfolge von Gebärden und Ausbrüchen von Geisteskraft, die neutralisieren sollten, was immer von Torkkinuuminaad ausging. Und dann, als der kleine Vroon den Schamanen in das Netz vroonischer Magie zu wickeln begann, kam Vathiimeraak von der anderen Seite auf Torkkinuuminaad zu, packte den Schamanen tollkühn, ohne dessen Magie Beachtung zu schenken, rang ihn zu Boden und drückte ihn nieder, bis dessen Stirn den Boden vor Valentines Füßen berührte.
Valentine spürte, wie der Einfluß der Magie des Schamanen nachließ und immer weiter abklang, bis sie zuletzt ihren Einfluß auf seine Seele völlig verlor. Der Kontakt zwischen Torkkinuuminaads Geist und dem seinen brach mit einem nahezu hörbaren Knacken ab.
Vathiimeraak ließ den Khivanivod los und trat zurück. Lisamon Hultin trat neben den Schamanen und stand bedrohlich über
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