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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Westteich. Wann immer Birke Gäste aus Kembermünde oder von den umliegenden Domänen hatte, hatten Wild, Schwäne und der Springbrunnen goldenen Weins ihren Auftritt. An einem warmen Frühlingsabend brachte er auch ein sehr hübsches Feuerwerk zustande. Aber wenn die Aufseher der Haine und Weinberge zum Hausherrn kamen und fragten, ob der Magier dieses Jahr einen Wachstumszauber über die Birnen sprechen oder die Schwarzfäule von den Fanianreben am Südhang hexen konnte, sagte Birke: »Ein Magier von Roke läßt sich nicht zu so etwas herab. Sagt dem Dorfzauberer, daß er sich seinen Lebensunterhalt verdienen soll!« Und als die jüngste Tochter einen schlimmen Husten bekam, wagte Birkes Frau nicht, den weisen jungen Mann damit zu behelligen, sondern schickte bescheiden nach Rose aus Alt-Iria und bat sie, zur Hintertür hereinzukommen und vielleicht einen Breiumschlag zu machen oder einen Gesang anzustimmen, der das Mädchen wieder gesund machte. Elfenbein merkte gar nichts von der Krankheit des Mädchens noch von den Birnbäumen oder Reben. Er blieb für sich, wie es einem Mann von Fertigkeit und Ausbildung geziemte. Er verbrachte seine Tage damit, auf dem hübschen schwarzen Pferd über Land zu reiten, das ihm sein Arbeitgeber überlassen hatte, nachdem er ihm klargemacht hatte, daß er nicht von Roke hierhergekommen war, um zu Fuß durch Schlamm und Staub von Feldwegen zu stapfen.
    Bei seinen Ausritten kam er häufig an einem alten Haus unter großen Eichen auf einem Hügel vorbei. Wenn er vom Weg zum Dorf abwich und den Hügel hinaufritt, kam eine Meute abgemagerter, kläffender Hunde bellend auf ihn zugerannt. Die Stute hatte Angst vor Hunden und würde wahrscheinlich scheuen und ausschlagen, daher hielt er Abstand. Aber er hatte einen Blick für Schönheit und sah das alte Haus gern an, das verträumt im gesprenkelten Licht der Frühsommernachmittage stand.
    Er fragte Birke nach dem Haus. »Das ist Iria«, sagte Birke. »Alt-Iria, wollte ich sagen. Rechtmäßig gehört das Haus mir. Aber nach hundert Jahren Fehden und Streit deswegen verzichtete mein Großvater darauf, um den Streit beizulegen. Obwohl der Hausherr dort immer noch mit mir streiten würde, wenn er nicht regelmäßig zu betrunken zum Reden wäre. Hab den Alten seit Jahren nicht gesehen. Ich glaube, er hatte eine Tochter.«
    »Sie heißt Drachenkind und macht die ganze Arbeit, und ich hab sie letztes Jahr einmal gesehen. Sie ist groß und so schön wie ein Baum in der Blüte«, sagte Rose, die jüngste Tochter, die emsig damit beschäftigt war, ein ganzes Leben aufmerksamer Beobachtungen in die vierzehn Jahre zu zwängen, die sie dafür haben sollte. Sie verstummte hustend. Ihre Mutter warf dem Magier einen ängstlichen, flehenden Blick zu. Gewiß würde er das Husten doch diesmal hören? Er lächelte der jungen Rose zu, und ihrer Mutter wurde leicht ums Herz. Gewiß würde er nicht so lächeln, wenn Roses Husten etwas Ernstes wäre.
    »Hat nichts mit uns zu tun, diese Bande in dem alten Haus«, sagte Birke ungehalten. Der taktvolle Elfenbein stellte keine weiteren Fragen. Aber er wollte das Mädchen sehen, das schön wie ein Baum in der Blüte war. Er ritt regelmäßig an Alt-Iria vorbei. Er versuchte, in dem Dorf am Fuß des Hügels Rast zu machen und Fragen zu stellen, aber man konnte nirgendwo Rast machen, und es gab niemanden, der Fragen beantwortete. Eine schielende Hexe warf einen Blick auf ihn und verschwand hastig in ihrer Hütte. Wenn er zum Haus hinaufgehen würde, mußte er sich mit der Meute von Höllenhunden und wahrscheinlich mit einem betrunkenen alten Mann herumschlagen. Aber vielleicht lohnte sich das Risiko, dachte er; das öde Leben in Westteich langweilte ihn zu Tode, und er scheute sich nie, ein Risiko einzugehen. Er ritt den Hügel hinauf, bis die Hunde wie toll bellend um ihn herumsprangen und nach den Beinen der Stute schnappten. Sie bockte und schlug mit den Hufen nach den Hunden aus, und er hinderte sie nur durch einen Bleibezauber und die Kraft seiner Arme daran, einfach durchzugehen. Inzwischen sprangen die Hunde hoch und schnappten nach seinen Beinen, und er wollte der Mähre gerade ihren Willen lassen, als jemand zwischen die Hunde trat, ihnen Flüche entgegenschleuderte und sie mit einem Gürtel zurückjagte. Als er die schäumende, keuchende Stute dazu gebracht hatte, still stehenzubleiben, sah er das Mädchen, das so schön wie ein Baum in der Blüte war. Sie war sehr groß und sehr verschwitzt, hatte große

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