Der siebte Schrein
beugte sich über Roland, und die Glöckchen, die ihr Gesicht umrahmten, klingelten. Irgendwie wurde Roland bei dem Geräusch übel, und er fühlte sich schwächer als noch einen Augenblick zuvor. Ihre hellbraunen Augen waren stechend. Möglicherweise gierig. Sie berührte seine Wange einen Moment, und ein taubes Gefühl schien sich von der Stelle auszubreiten. Dann sah sie nach unten, worauf ein Ausdruck, den man beunruhigt hätte nennen können, ihr Gesicht verzerrte. Sie nahm die Hand weg.
»Du wachst auf, hübscher Mann. Das tust du. ´s ist gut.«
»Wer seid ihr? Wo bin ich?«
»Wir sind die Kleinen Schwestern von Eluria«, sagte sie. »Ich bin Schwester Mary. Hier sind Schwester Louise, Schwester Michela, Schwester Coquina -«
»Und Schwester Tamra«, sagte die letzte. »Ein hübsches Mädchen von eins-und-zwanzig Jahren.« Sie kicherte. Ihr Gesicht flimmerte, und einen Moment sah sie wieder so alt wie die Welt aus. Hakennase, graue Haut. Roland mußte wieder an Rhea denken.
Sie kamen näher, umringten den komplizierten Harnisch, in dem er freischwebend hing, und als Roland zurückschreckte, loderten die Schmerzen in seinem Rücken und dem verletzten Bein wieder auf. Er stöhnte. Die Bänder, die ihn festhielten, ächzten.
»Ooooo!«
»Es tut weh!«
»Tut ihm weh!«
»So schrecklich weh!«
Sie drängten sich noch näher, als faszinierten die Schmerzen sie. Und nun konnte er sie riechen, einen trockenen, erdigen Geruch. Die namens Schwester Michela streckte die Hand aus -
»Geht weg! Laßt ihn in Ruhe! Hab´ ich es euch nicht schon mal gesagt?«
Sie sprangen erschrocken zurück, als die Stimme ertönte. Schwester Mary sah besonders erbost aus. Aber sie zog sich mit einem letzten finsteren Blick (Roland hätte es beschworen) auf das Medaillon zurück, das auf seiner Brust lag. Als er das letzte Mal erwacht war, hatte er es unter das Nachthemd geschoben, aber nun war es wieder draußen.
Eine sechste Schwester erschien und zwängte sich grob zwischen Mary und Tamra hindurch. Diese hier war vielleicht tatsächlich erst eins-und-zwanzig und hatte rosige Wangen, glatte Haut und dunkle Augen. Ihre weiße Tracht bauschte sich wie ein Traum. Die rote Rose auf ihrer Brust zeichnete sich ab wie ein Fluch.
»Geht! Laßt ihn in Ruhe!«
»Oooo, meine Liebe!« rief Schwester Louise mit einer lachenden und zugleich wütenden Stimme. »Da ist Jenna, das Baby - und hat sie sich nicht in ihn verliebt?«
»Das hat sie!« lachte Tamra. »Baby gehört ihm mit ganzem Herzen!«
»Oh, so ist es!« stimmte Schwester Coquina zu.
Mary drehte sich zu dem Neuankömmling um und schürzte die Lippen zu einem verkniffenen Lächeln. »Du hast hier nichts zu suchen, unverschämtes Mädchen.«
»Wenn ich es sage, dann doch«, entgegnete Schwester Jenna. Nun schien sie selbstbewußter zu sein. Eine schwarze Haarlocke war unter ihrer Haube hervorgerutscht und lag auf ihrer Stirn wie ein Komma. »Geht jetzt! Er ist nicht in der Verfassung für eure Scherze und euer Gelächter.«
»Gib uns keine Befehle«, sagte Schwester Mary, »denn wir machen niemals Scherze. Das weißt du, Schwester Jenna.«
Das Gesicht des Mädchens wurde etwas sanfter, und Roland sah, daß sie sich fürchtete. Da bekam er Angst um sie. Und auch um sich. »Geht«, wiederholte sie. »´s ist nicht die Zeit. Gibt es keine anderen zu versorgen?«
Schwester Mary schien zu überlegen. Die anderen beobachteten sie. Schließlich nickte sie und sah lächelnd auf Roland herab. Wieder schien ihr Gesicht zu wabern, wie etwas, das man hinter Hitzeflimmern sieht. Was er darunter sah (oder zu sehen glaubte), war gräßlich und argwöhnisch. »Gehab dich wohl, hübscher Mann«, sagte sie zu Roland. »Bleib ein Weilchen bei uns, und wir werden dich heilen.«
Habe ich eine andere Wahl? dachte Roland.
Die anderen lachten, ein Vogelzwitschern, das im Halbdunkel aufstieg wie Girlanden. Schwester Michela warf ihm tatsächlich eine Kußhand zu.
»Kommt, meine Damen!« rief Schwester Mary. »Wir lassen Jenna bei ihm im Andenken an ihre Mutter, die wir über alles geliebt haben!« Und damit führte sie die anderen weg, fünf weiße Vögel, die den Mittelgang hinunterschwebten, so daß ihre Röcke hierhin und dorthin nickten.
»Danke«, sagte Roland und sah zu dem Mädchen auf, dem die kühle Hand gehörte . . . denn er wußte, daß sie es war, die ihn getröstet hatte.
Sie nahm seine Finger, als wollte sie es ihm beweisen, und liebkoste sie. »Sie wollen dir nichts Böses«,
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