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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Junge«, sagte die Stimme eines Knaben. Dunk legte stirnrunzelnd einen Schritt zu.
    Er fand den Stallburschen, der die Rüstung des alten Mannes trug, auf Donner sitzend. Das Panzerhemd war länger als er, und er mußte den Helm auf seinem kahlen Kopf nach hinten schieben, weil er sonst seine Augen bedeckt hätte. Er sah vollkommen versunken und vollkommen absurd aus. Dunk blieb an der Stalltür stehen und lachte.
    Der Junge schaute auf, errötete und sprang zu Boden. »Mein Lord, ich wollte nicht . . .«
    »Dieb«, sagte Dunk und versuchte, streng zu klingen. »Nimm diese Rüstung ab, und sei froh, daß Donner dir keinen Tritt gegen deinen dummen Kopf verpaßt hat. Er ist ein Schlachtroß, kein Pony für Knaben.«
    Der Junge nahm den Helm ab und warf ihn ins Stroh. »Ich könnte ihn so gut reiten wie Ihr«, sagte er so kühn wie möglich.
    »Mach den Mund zu, ich will deine Frechheiten nicht hören. Das Panzerhemd auch, zieh es aus! Was hast du dir dabei gedacht?«
    »Wie soll ich Euch das sagen, wenn ich den Mund zumachen soll?« Der Junge wand sich aus dem Kettenhemd und ließ es fallen.
    »Zum Antworten kannst den Mund aufmachen«, sagte Dunk. »Jetzt heb das Kettenhemd auf, schüttle den Dreck heraus, und leg es dorthin zurück, wo du es gefunden hast. Und den Halbhelm auch. Hast du die Pferde gefüttert, wie ich es dir gesagt habe? Und Leichtfuß gestriegelt?«
    »Ja«, sagte der Junge, während er Stroh aus dem Kettenhemd schüttelte. »Ihr geht nach Ashford, nicht wahr? Nehmt mich mit, Ser.«
    Davor hatte die Schankwirtin ihn gewarnt. »Und was würde deine Mutter dazu sagen?«
    »Meine Mutter?« Der Junge verzog das Gesicht. »Meine Mutter ist tot, die würde gar nichts sagen.«
    Er war überrascht. War die Schankwirtin nicht seine Mutter? Vielleicht war er nur Lehrling bei ihr. Dunk schwirrte der Kopf ein wenig vom Bier. »Bist du ein Waisenjunge?« fragte er unsicher.
    »Seid Ihr einer?« gab der Junge zurück.
    »Ich war mal einer«, gab Dunk zu. Bis der alte Mann mich mitgenommen hat.
    »Wenn Ihr mich mitnehmt, könnte ich Euer Knappe sein.«
    »Ich brauche keinen Knappen«, sagte er.
    »Jeder Ritter braucht einen Knappen«, sagte der Junge. »Und Ihr seht mehr als alle anderen aus, als würdet Ihr einen brauchen.«
    Dunk hob drohend eine Hand. »Und mir scheint, du siehst aus, als würdest du eine Ohrfeige brauchen. Füll mir einen Sack mit Hafer. Ich reite nach Ashford . . . allein.«
    Falls der Junge Angst hatte, verbarg er es gut. Einen Augenblick stand er trotzig und mit verschränkten Armen da, und als Dunk gerade aufgeben wollte, drehte sich der Junge um und ging den Hafer holen.
    Dunk war erleichtert. Ein Jammer, daß ich ihn nicht . . . aber er hat ein gutes Leben hier, ein besseres als der Knappe eines Heckenritters. Ich würde ihm keinen Gefallen tun, wenn ich ihn mitnähme.
    Aber er konnte die Enttäuschung des Burschen spüren. Als er Leichtfuß bestieg und Donners Zügel nahm, beschloß Dunk, daß ein Kupferpfennig ihn aufmuntern würde. »Hier, Bursche, für deine Hilfe.« Er schnippte lächelnd die Münze zu ihm hinunter, aber der Stallbursche traf keine Anstalten, sie zu fangen. Sie fiel zwischen seinen bloßen Füßen auf den Boden, und da ließ er sie liegen.
    Sobald ich weg bin, wird er sie aufheben, sagte sich Dunk. Er ließ den Zelter kehrtmachen, ritt von dem Gasthaus weg und führte die beiden anderen Pferde neben sich her. Die Bäume standen hell im Mondschein, der Himmel war wolkenlos und voller Sterne. Aber als Dunk den Weg hinabritt, konnte er spüren, wie der Stalljunge ihm verdrossen und stumm nachsah.
     
    Die Schatten des Nachmittags wurden lang, als Dunk am Rain des Wasens von Ashford die Zügel anzog. Sechzig Zelte waren bereits auf der Wiese errichtet worden. Manche waren klein, manche groß; manche eckig, manche rund; manche aus Segeltuch, manche aus Leinen, manche aus Seide; aber alle waren bunt, und lange Banner, strahlender als ein Feld voller Wildblumen, in vollem Rot und Sonnengelb und allen Schattierungen von Grün und Blau sowie tiefen Schwarz-, Grau- und Purpurtönen, flatterten von ihren Mittelpfosten.
    Der alte Mann war mit einigen dieser Ritter geritten; andere kannte Dunk aus Geschichten, die in Wirtshäusern und an Lagerfeuern erzählt wurden. Auch wenn er die Magie des Lesens und Schreibens nie gelernt hatte, war der alte Mann unerbittlich gewesen, wenn es darum ging, ihn Heraldik zu lehren, und er hatte es ihm oft beim Reiten eingebleut. Die Nachtigallen

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