Der siebte Schrein
den Schädel geben, und du wirst ohne dein Gold und vielleicht noch andere Dinge in einer dunklen Gasse aufwachen. Ich nehme an, deinen ersten Mann wirst du mit ebenso großer Sorgfalt auswählen wollen wie deinen ersten Behüter.«
Moiraine schrak zurück und stammelte pikiert. Zuerst sie und Siuan, und jetzt das. Es gab Dinge, über die redete man, und Dinge, über die redete man nicht!
Cadsuane schenkte ihrer Entrüstung keinerlei Beachtung. Sie nippte gelassen an ihrem Wein und drehte sich wieder zu den anderen um. »Bis sie einen Behüter gefunden hat, der ihr den Rücken freihält, wird es das beste sein, sie vor ihrem eigenen Übereifer zu beschützen. Ich glaube, ihr beiden seid nach Chachin unterwegs. Dann wird sie mit euch reisen. Ich erwarte, daß ihr sie nicht aus den Augen laßt.«
Endlich fand Moiraine ihre Sprache wieder, aber ihr Protest nützte ihr so wenig wie ihre Empörung. Merean und Larelle erhoben ebenfalls Einwände, und nicht weniger wortreich. Aes Sedai, wie frischgebacken auch immer, brauchten niemand, der sich um sie »kümmerte«. Sie hatten eigene Belange, um die sie sich kümmern mußten. Worum es sich dabei handelte, sagten sie nicht - die wenigsten Schwestern hätten das getan -, aber sie wollten eindeutig keine Gesellschaft. Cadsuane nahm nichts zur Kenntnis, was sie nicht hören wollte, ging davon aus, daß sie taten, was sie verlangte, und war mit einem neuen Argument zur Stelle, wenn sie ihr Gelegenheit dazu boten. Bald schon wanden sich die beiden in ihren Sesseln und sagten nur noch, daß sie einander erst gestern getroffen hätten und nicht sicher seien, ob sie zusammen weiterreisen würden. Jedenfalls hätten beide vor, zwei oder drei Tage in Canluum zu bleiben, während Moiraine noch heute aufbrechen wolle.
»Das Kind wird bleiben, bis ihr abreist«, sagte Cadsuane brüsk. »Gut, dann wäre das erledigt. Ich bin sicher, ihr beiden wollt euch um das kümmern, was euch nach Canluum geführt hat. Ich werde euch nicht aufhalten.«
Larelle rückte beleidigt den Schal zurecht, weil sie so unvermittelt entlassen worden war, dann stolzierte sie hinaus und murmelte, daß Moiraine es bedauern werde, sollte sie im Weg sein oder ihre Ankunft in Chachin irgendwie verzögern. Merean nahm es besser auf und versicherte sogar, daß sie sich Moiraines wie einer Tochter annehmen werde, obwohl ihr Lächeln alles andere als zufrieden aussah.
Als sie fort waren, starrte Moiraine Cadsuane fassungslos an. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Bis auf einmal, eine Lawine. Nun kam es darauf an, zu schweigen, bis sie eine Möglichkeit hatte, sich davonzuschleichen, ohne daß Cadsuane oder die anderen es mitbekamen. Das war das klügste. »Ich habe zu nichts meine Zustimmung gegeben«, sagte sie kühl. Sehr kühl. »Wenn ich nun Angelegenheiten in Chachin habe, die nicht warten können? Was ist, wenn ich nicht damit einverstanden bin, zwei oder drei Tage hier zu warten?« Vielleicht sollte sie doch lernen, ihre Zunge etwas besser im Zaum zu halten.
Cadsuane hatte nachdenklich zu der Tür gesehen, die hinter Merean und Larelle ins Schloß gefallen war, aber nun richtete sie einen durchdringenden Blick auf Moiraine. »Du trägst den Schal seit fünf Jahren und hast Angelegenheiten, die nicht warten können? Pah! Du hast immer noch nicht die erste Lektion begriffen, nämlich daß der Schal bedeutet, du bist bereit, wahrhaft mit dem Lernen zu beginnen. Die zweite Lektion ist Vorsicht. Ich weiß sehr gut, wie schwer die zu finden ist, wenn man jung ist und Saidar zur Verfügung und die Welt zu Füßen hat. Wie du meinst.« Moiraine versuchte, ein Wort zu sagen, aber sie hätte ebensogut vor jener Lawine stehen können. »Du wirst in deinem Leben große Risiken eingehen, wenn du lange genug lebst. Du gehst schon jetzt größere ein, als dir bewußt ist. Achte sorgfältig darauf, was ich dir sage. Und tu, was ich dir sage. Ich werde heute nacht in deinem Bett nachsehen. Und wenn du nicht darin liegst, werde ich dich finden und dafür sorgen, daß du weinst wie wegen dieser Mäuse. Hinterher kannst du dir die Tränen an dem Schal abtrocknen, von dem du zu glauben scheinst, daß er dich unverwundbar macht. Das tut er nicht.«
Moiraine sah die Tür an, die sich hinter Cadsuane schloß, stellte plötzlich fest, daß sie den Becher Wein noch in der Hand hielt und leerte ihn in einem Zug. Die Frau war . . . furchteinflößend. Der Brauch untersagte körperliche Gewalt gegen eine andere Schwester, aber Cadsuane
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