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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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der kanalisieren konnte.
    Siuan schnaubte. »Meilyn hatte kein Mal an sich, und Chesmal hätte entdeckt, wenn sie vergiftet oder erstickt worden wäre oder . . . Das bedeutet die Macht, Moiraine. Könnte selbst eine Rote so etwas tun?« Ihre Stimme klang ungestüm, aber sie nahm den Rucksack vom Rücken und preßte ihn auf den Schoß. Sie schien sich dahinter zu verstecken. Aber inzwischen drückte ihr Gesicht weniger Angst und dafür mehr Wut aus. »Denk nach, Moiraine! Tamra ist angeblich auch im Schlaf gestorben. Aber wir wissen, daß das bei Meilyn nicht der Fall war, wo immer sie auch gefunden wurde. Zuerst Tamra, und danach sterben die anderen. Die einzig sinnvolle Erklärung ist, daß jemand bemerkt hat, wie sie Schwestern zu sich rief, und so sehr wissen wollte, warum, daß diese Leute sogar das Risiko eingingen, die Amyrlin selbst zu befragen. Sie mußten etwas zu verbergen haben, um das zu tun, und waren bereit, alles zu riskieren, damit es geheim blieb. Sie haben sie getötet, um es geheimzuhalten, um zu verbergen, was sie getan hatten, und dann machten sie sich daran, den Rest zu töten. Was bedeutet, sie wollen nicht, daß der Junge gefunden wird, nicht lebend. Sie wollen den Wiedergeborenen Drachen nicht beim Letzten Gefecht dabeihaben. Jede andere Interpretation hieße, den Nachttopf in den Wind zu werfen und das Beste zu hoffen.«
    Unwillkürlich sah Moiraine zum Eingang der Gasse. Ein paar Leute, die vorübergingen, sahen herein, aber niemand mehr als einmal. Niemand blieb stehen, wenn er sie hier sitzen sah. Über manches ließ sich leichter sprechen, wenn man nicht zu spezifisch wurde. »Die Amyrlin« war befragt worden; »sie« war getötet worden. Nicht Tamra, kein Name, der einem das vertraute, entschlossene Gesicht ins Gedächtnis rief. »Jemand« hatte sie ermordet. »Sie« wollten nicht, daß der Wiedergeborene Drache gefunden wurde. Mord durch die Macht bedeutete mit Sicherheit einen Bruch der Drei Eide, auch für . . . für die, deren Namen Moiraine ebensowenig nennen wollte wie Siuan.
    Sie zwang sich, eine gleichmütige Miene zu wahren, zwang sich, mit ruhiger Stimme zu sprechen, preßte die Worte aus sich heraus. »Die Schwarzen Ajah.« Siuan zuckte zusammen, dann nickte sie finster.
    Jede Schwester wurde wütend bei der Andeutung, es könnte sich eine geheime Ajah unter den anderen verbergen, die sich dem Dunklen König verschrieben hatte. Die meisten Schwestern wollten nichts davon hören. Die Weiße Burg war seit über dreitausend Jahren der Inbegriff des Lichts. Aber manche Schwestern leugneten die Schwarzen nicht rundweg. Manche glaubten daran. Die wenigsten hätten es allerdings kaum einer anderen Schwester gegenüber eingestanden. Moiraine wollte es sich selbst nicht eingestehen.
    Siuan zupfte an den Gurten ihres Rucksacks, fuhr aber mit spröder Stimme fort: »Ich glaube nicht, daß sie unsere Namen haben - Tamra hat uns nie als dazugehörig betrachtet -, sonst hätten wir auch schon einen ›Unfall‹ gehabt. Kurz vor meiner Abreise habe ich einen Zettel mit meinem Verdacht unter Sierins Tür durchgeschoben. Aber ich wußte nicht, wieweit ich ihr trauen konnte. Der Amyrlin! Ich habe mit der linken Hand geschrieben, aber so sehr gezittert, daß niemand meine Schrift wiedererkennen konnte, selbst wenn ich mit rechts geschrieben hätte. Verbrenn meine Leber! Selbst wenn wir wüßten, wem wir vertrauen können, haben wir nicht den geringsten Beweis.«
    »Genug für mich. Wenn sie alles wissen, alle Frauen kennen, die Tamra auserkoren hat, sind vielleicht außer uns keine mehr übrig. Wir müssen schnell handeln, wenn wir den Jungen als erste finden wollen.« Moiraine bemühte sich ebenfalls um einen lebhaften Tonfall. Es war erfreulich, daß Siuan nur nickte. Sie gab nicht auf, sosehr sie auch erzählte, wie sie gezittert hatte, und zog nie in Erwägung, daß Moiraine aufgeben könnte. Höchst erfreulich. »Vielleicht kennen sie uns, vielleicht nicht. Vielleicht denken sie, zwei neue Schwestern können sie verschonen. In jedem Fall können wir keinem trauen, außer uns selbst.« Das Blut wich aus ihrem Gesicht. »Oh, Licht! Ich hatte gerade eine Begegnung im Gasthaus, Siuan.«
    Sie versuchte, sich an jedes Wort zu erinnern, jede Nuance, von dem Moment an, als Merean sie angesprochen hatte. Siuan hörte mit einem abwesenden Blick zu, archivierte und sortierte. »Cadsuane könnte eine von Tamras Auserkorenen sein«, stimmte sie zu, als Moiraine fertig war. »Oder sie könnte von den

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